Im Roman wird an einigen Stellen neben der illyrischen Bewegung auch die italienische Unabhängigkeitsbewegung dargestellt. Die Stellen, in denen die italienische Bewegung diskutiert wird, kann man in zwei Teile gliedern.
Der erste Teil ist die Debatte über Cavour, die im Haus von Frau Biba nach dem feierlichen Empfang ihrer Tochter Bianca stattfindet. Das Gespräch wird vom Herrn Loro angefangen, der Pave ausfragt, ob ihr Mann etwas Neues über die Situation in Sebastopol und die Entwicklung des möglichen Krieges weiß. Pave erzählt ihm, dass Pero der Meinung ist, ein Krieg sei unvermeidlich, falls sich Russland mit den westlichen Mächten nicht einigen kann. Daraufhin mischt sich auch Bianca in das Gespräch ein, die über die Aussichten eines möglichen Krieges nicht begeistert ist, wohingegen ihr Onkel, Herr Loro, anderer Meinung ist:
‚Wieder ein Krieg!‘ seufzte die schöne Bianca. ‚Ich glaube, seit die Sansculotten in Paris und Napoleon der Erste die Welt aufgerührt haben wie Buben, die mit dem Stecken in einen Ameisenhaufen stechen, kann sie nicht zur Ruhe kommen. Ist es nicht so, Onkel?‘ […]. ‚Sind solche schlimme Jungen, die mit einem Stecken in die uralten Welten hineinstoßen, nicht mitunter wohltätiger als ein Ruhezustand, der ewig dauert und in dem das Schlechte besser gedeiht als das Gute?‘58
Herr Loro deutet hier erstmals an, dass er vielleicht doch kein Anhänger des Kaiserreichs ist, sondern eher revolutionäre Gedanken hat. Seine Nichte Bianca stimmt ihm daraufhin zu, wodurch sie sich ebenfalls auf die sogenannte „revolutionäre Seite“ begibt.
Auch der Sänger Lorenzoni mischt sich in das Gespräch ein und zeigt deutliches Interesse für das Thema und für Herrn Loros Erzählungen. Das Gespräch spitzt sich zu, als der Name Cavour und der Krieg bei Novara erwähnt werden:
58 Ebd., S. 169.
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‚Sie wissen, Maestro, daß Cavour Piemont in diesen Krieg der Freiheit gegen die Despotie eintreten lassen will? Er hat alle gegen sich, den König, das Kabinett, die Kammer, alle. Aber er will es, und wenn Cavour etwas will!... Die Schande von Novara muß ausgewetzt werden!‘
Pave horchte auf. Die Schande von Novara? Sie hatte von dem Treffen von Novara immer nur im Ton der gerührten Begeisterung als von einem glänzenden Sieg des Marschalls Radetzky reden gehört.59
In dem vorliegenden Zitat werden die zwei unterschiedlichen Sichtweisen deutlich dargestellt.
Auf der einen Seite ist Herr Loro, der über den Ausgang der Schlacht bei Novara bitter ist und sich dadurch deutlich auf die italienische Seite begibt. Er spricht von Cavour wie von einem Märtyrer, der als einziger und mit allen Mitteln für die Gerechtigkeit kämpft. Er lobt ihn über alle Maßen und vergleicht ihn mit einer Naturgewalt, einem Vulkan und einem sprühenden Feuer. Auf der anderen Seite ist Pave, die sich ohnehin für Politik und Krieg nicht wirklich interessiert, doch von ihrem Ehemann und als Bewohnerin des Kaiserreiches erhielt sie trotzdem einige Grundinformationen, die natürlich die österreichische Perspektive widerspiegeln. In dem Zitat wird Paves Verwunderung über diese andere Sichtweise deutlich, was ein guter Indikator dafür sein könnte, dass diese Nationalbewegungen im Roman wie in der außerliterarischen Geschichte nicht alle erreichten, sondern zunächst doch nur für bestimmte Kreise interessant waren. Weiterhin denkt Pave über ein Bild nach, dass sie in einer Zeitung gesehen hat, wo die Schlacht von Novara gezeigt wird. Auf dem Bild wird der italienische Thronfolger nach dem Ausgang der Schlacht vor dem österreichischen Sieger60 in einer gedemütigten Haltung abgebildet.
Während sich Herr Loro, Bianca und der Sänger Lorenzoni immer mehr in das Gespräch über Cavour vertiefen, denkt Pave über die ganze Situation nach. Sie erkennt, dass alle drei genauestens über Cavour und die Geschehnisse in Italien Bescheid wissen, was ihre Verflochtenheit mit der Bewegung noch deutlicher unterstreicht. Sie kann es nicht glauben,
59 Ebd.
60 Hierbei ist nicht deutlich, ob im Roman Pave und Pero mit den Worten „vor dem salopp und gemütlich dastehenden greisen Sieger“ der österreichische Kaiser oder der Marschall Radetzky gemeint ist.
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dass die Personen neben ihr, mit denen sie eben noch in freundschaftliche Gespräche verwickelt war, derartige revolutionäre Neigungen vertreten:
Waren diese hier, mit denen sie sprach, Feinde des Kaisers, Feinde Österreichs, Feinde der Armee, der Pero angehörte? Hielten sie etwa zu denen, die im Vorjahre in Mailand den tückischen, abscheulichen Aufstand verursacht hatten, in dessen Verlauf einzelgehende Offiziere und Soldaten durch die Haufen der Empörer in feiger Weise überfallen und mit riesigen Nägeln an die Tore der Häuser genagelt worden waren? Sie erinnerte sich der Erbitterung, mit der ihr Bruder Toni, der als Hauptmann in Mailand stand, und auch Pero von der Revolte gesprochen, wie sie die harten Strafen, die ihr folgten, noch zu milde genannt hatten.61
Pave ist deutlich erstaunt, was den Fokus auf die Darstellung der italienischen Revolutionäre rückt. Sie werden im Gegensatz zu den Illyristen als gewaltbereit und gewalttätig dargestellt.
Hierbei ist es zu betonen, dass dies die Sichtweise einer Offiziersehefrau ist, die in erster Linie das Leiden ihres Bruders und ihres Ehemannes vor den Augen hat, und welche Auswirkungen diese Revolte für ihre eigene Familie hat. Sie denkt nicht darüber nach, was die Revolte auf einer höheren Ebene für die breitere Gesellschaft bedeuten. Die Worte „Feinde der Armee, der Pero angehörte“ könnte man letztendlich auch als „Feinde von Pero“ interpretieren, wodurch Pave zu recht Angst vor ihnen bekommt und sich zurückzieht.
Der zweite Teil ist das Gespräch zwischen Pave und ihrem Bruder Toni, der in Mailand als österreichischer Offizier tätig ist und in der Faschingszeit zu Besuch kommt. In diesem Kapitel wird einerseits Frau Bibas Zuneigung zur italienischen Unabhängigkeitsbewegung dargestellt und andererseits Tonis Sichtweise, die unter dem Einfluss seines Berufslebens steht. Sofort nach Tonis Ankunft bemerkt Pave, dass die sonst immer heitere Frau Biba Toni gegenüber sehr ernst und reserviert bleibt. Nichtsahnend richtet sie an Toni eine Frage über Mailand, was sowohl bei ihm als bei Frau Biba unerwartete Reaktionen hervorruft:
Als […] das Gesprach auf Mailand kam, wo die schreckliche Seuche nun endlich doch erloschen war, und Pave eine muntere Frage nach dem gesellschaftlichen Leben dort an den Bruder
61 Paula von Preradović (1951): Pave und Pero. Salzburg: O. Müller Verlag, S. 170.
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richtete, wurde sie mit Befremden gewahr, daß sowohl Frau Biba, als auch Toni ablehnende Mienen aufsetzten, und der Bruder die Rede unvermittelt auf die Kaiserin Eugenie brachte, die man wahrlich die schönste Frau von Europa nennen dürfe. Seine beiden Schwestern fielen ihm ins Wort. Die schönste Frau von Europa? Was ihm einfalle! Das sei doch ohne Zweifel die junge Kaiserin Elisabeth.62
Toni gab eine indirekte Antwort, in dem er die Schönheit der französischen Kaiserin Eugenie (1826–1920) lobte. Dies kann man als eine Art Provokation verstehen, da der Ehemann von Eugenie63, Napoleon III. (1803–1873), ein Verbündeter von Cavour war und ihm in dem Krieg gegen Österreich bis 1859 unterstützte.64 In diesem Kontext könnte man auch die Antwort der beiden Schwestern von Toni verstehen, die ihm sofort ins Wort fallen und die österreichische Kaiserin als die Schönste erklären. Ihrer Meinung nach ist Kaiserin Elisabeth (1837–1898) edel und hochherzig, wohingegen sie die französische Kaiserin als kokett und intrigant beschimpfen.
Nachdem Frau Biba den Raum verlassen hat, redet Toni mit seiner Schwester deutlicher und konfrontiert Pave mit seiner ehrlichen Meinung: „Mit eurer Hausfrau ist, scheint’s, nicht gut Kirschen essen, mir hat sie jedenfalls gleich ihre piemontesischen Krallen gewiesen.“65 Darauf antwortet Pave verwundert, was er mit dem Wort piemontesisch gemeint hat, da Frau Biba doch eine Hiesige ist. Toni erklärt ihr, dass dies zwar wahr ist, „[a]ber ihr Glaube, ihre Hoffnung und ihre Liebe sind, wie ich sehe, in Piemont. Für sie ist ein kaiserlicher Offizier, und gar einer aus Mailand, ein Gegenstand des Hasses.“66 Er erklärt ihr, dass er in Mailand jeden Tag mit solchen Menschen zu kämpfen hat, die ihm hasserfüllte Blicke zuwerfen. Er verdeutlicht Pave, dass Cavour ihr Held ist, der Piemont in einem Krieg an die Krim schicken will, um die Despotie zu bekämpfen, wobei eigentlich das österreichische Kaiserreich gemeint ist. Pave wirkt, als sei sie von all den politischen Neuigkeiten überfordert und erklärt Toni ihre eigene Meinung über diese Nationalbewegungen und die Ereignisse, die damit verbunden sind:
62 Ebd., S. 216.
63 Vgl. Wikipedia. Eugénie de Montijo. Erhältlich unter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eug%C3%A9nie_de_Montijo (Zugriffsdatum: 17.12.2021).
64 Vgl. Volker Reinhardt (2003): Geschichte Italiens. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. München: C. H.
Beck, S. 213–214.
65 Paula von Preradović (1951): Pave und Pero. Salzburg: O. Müller Verlag, S. 217.
66 Ebd.
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‚Ach Toni‘, sagte Pave leise, ‚von allen diesen Sachen verstehe ich nichts. Wir in Dalmatien sind doch auch bei Österreich und wir wollen nicht weg von dort. Oder gibt es Leute, die weg wollen? Das Wichtige ist doch, daß man dort leben kann, wo man geboren ist, nicht? Daß man nicht in der Fremde wohnen muß, fremde Sprachen reden, fremde Bräuche mitmachen, fremde Speisen essen. Ob ein deutscher Kaiser oder ein italienischer König über einen herrscht, ist das nicht gleich?‘67
Toni erklärt ihr, dass dies die Sicht einer Frau ist, doch seine Realität ist anders. Er versucht ihr zu verdeutlichen, dass diese italienische Nationalbewegung nicht nur beruflich auf ihn wirkt, sondern auch sein Privatleben erschwert, da er als Offizier in Mailand als Vertreter der österreichischen Idee angesehen wird und deswegen niemals das Herz einer Mailänderin erobern könnte. Die Sicht auf die „österreichische Idee“ wird dann im Roman noch weiter erklärt und die Erklärung basiert auf einer Metapher von Eltern und Kindern, die sich emanzipieren wollen:
‚Jahrhundertelang hat die österreichische Idee die Völker des mittleren, südlichen und östlichen Europa zusammengefaßt und geführt: die Idee nämlich eines Reiches, in dem viele Völker, die sonst in Zwist und Armut und Schutzlosigkeit nebeneinander wohnen würden, gesichert beisammen leben können. […]. Die Völker aber, weißt du, Pave, die seit Jahrhunderten, so wie die verschiedenen Friedensschlüsse und Heiratsverträge sie zusammengeschweißt hatten, ruhig beieinander lebten, und die Vorherrschaft der Deutschen gern ertrugen, so wie Kinder das Regiment ihrer Eltern und ihrer Lehrer ertragen, sie sind nun gewissermaßen herangewachsen.
[…]. Was wir im Jahr Achtundvierzig überall erlebt haben, kam mir vor wie eine gewaltsame eigene Mündigkeitserklärung der Völker, verstehst du, Pave? Sie sind in ein neues Lebensalter eingetreten, sie stehen unter dem Zeichen eines anderen Gestirnes. Sie wollen nun ihre eigenen Sprachen zu herrschenden Sprachen machen, und ihre Länder, die dem Kaiserreich eingegliedert sind, zu souveränen Staaten. Was gleichen Blutes ist, strebt zueinander.‘68
Ganz programmatisch gibt Toni dann noch den folgenden Satz von sich: „Die Zeit des übernationalen Reichsgedankens ist eben vorbei, und die Zeit des Nationalgefühls ist
67 Ebd., S. 218.
68 Ebd., S. 219–220.
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gekommen“69 und geht sogar noch einen Schritt weiter. Er erklärt Pave, dass es seiner Meinung nach es eines Tages wahrscheinlich zu einer erneuten Zusammenführung der Völker kommen wird, da sie eine Zusammenarbeit als nützlich empfinden werden. Diese prophetische Vorhersehung einer Verbindung, die der heutigen Europäischen Union ähnlich ist, könnte daher stammen, dass die Autorin in Tonis Worten Hoffnung suchte, da ihre eigene Zeit und Realität wahrscheinlich eher düster waren.
Die letzten zwei Zitate beschäftigen sich mit dem Zugehörigkeitsgefühl eines Individuums zu einer bestimmten Nation. Toni vertritt hier wieder die sogenannte übernationale Idee, wobei er besonders anhand der Muttersprache und der Gebrauchssprache seinen Punkt deutlich machen will: „Schau, Pave, wir sind doch Italiener, und […] ich fühle mich trotzdem als Österreicher und spreche deutsch womöglich besser als meine Muttersprache.“70 Eine ähnliche Stellungnahme nimmt auch Pave später im Roman in einem Gespräch mit Frau Biba ein, die sie fragt, ob sie sich wegen der Tatsache, dass ihre Familie aus Italien stammt, als Italienerin fühlt. Dies könnte man auch als eine Provokation von Bibas Seite betrachten, da diese eindeutig der italienischen Unabhängigkeitsbewegung zugeneigt ist. Doch Pave reagiert sehr schlau und gibt ihr zwar eine Antwort, aber sie äußert nicht direkt, zu welcher Seite sie gehört:
‚Ich fühle mich als die Frau meines Mannes und die Mutter meiner Kinder. Alles andere ist mit zu verwickelt. Ich bin Dalmatinerin und stamme aus Italien, mein Mann ist österreichischer Offizier und stammt aus Kroatien. Mein Bruder Toni sagt, er fühle sich als Österreicher, und mein Pero tut das auch, obgleich er andererseits ein leidenschaftlicher Slawe ist. Mir ist das zu schwer und ich kenne mich nicht aus. Jedenfalls ist es schrecklich, wenn man immer von Ort zu Ort wandern muß.‘71
Durch diese Darstellung der italienischen Unabhängigkeitsbewegung im Roman wird ein klarer Kontrast zu der illyristischen Bewegung gezogen. Die italienische Bewegung wird fast ausschließlich als eine politische Bewegung dargestellt. Die Assoziationen, die mit ihr in Verbindung im Roman vorkommen, sind Gewalt, Krieg und Revolution, die eher negativ
69 Ebd., S. 221.
70 Ebd., S. 221–222.
71 Ebd., S. 314.
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konnotiert werden. Auch die Personen, vor allem Cavour, die mit ihr verbunden werden, sind nicht als Helden dargestellt, sondern als Verursacher von Kriegen. Hingegen ist die illyrische Bewegung sehr friedlich dargestellt. Sie wird mehr oder weniger nur als kulturelle Bewegung abgebildet, was auch durch die Unterscheidung zwischen Illyrimsus und Kroatismus erklärt werden könnte. Aber auch wenn sich die Autorin dieser Trennung der Begriffe bewusst war, hätte sie trotzdem beide Seiten der Bewegung zeigen können, sowohl die kulturelle als auch die politische, doch sie entschied sich dagegen. Diese Kontrastierung zur italienischen Bewegung geht noch weiter, da auch alle Anhänger der Bewegung als schöne, nette, intelligente Menschen dargestellt werden. Die Assoziationen, die man mit dieser Bewegung im Roman ziehen kann, sind alle sehr positiv: Literatur, Brüderschaft, letztendlich auch Trost.
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