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Prostitution in der Literatur um 1900 bei Hermann Sudermann, Arthur Schnitzler und Frank Wedekind Prostitucija v književnosti na prelomu stoletja 1900 pri Hermannu Sudermannu, Arthurju Schnitzlerju in Franku Wedekindu

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Academic year: 2022

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UNIVERZA V LJUBLJANI FILOZOFSKA FAKULTETA

ODDELEK ZA GERMANISTIKO Z NEDERLANDISTIKO IN SKANDINAVISTIKO

NIK PUŠNIK

Prostitution in der Literatur um 1900 bei Hermann Sudermann, Arthur Schnitzler und Frank

Wedekind

Prostitucija v književnosti na prelomu stoletja 1900 pri Hermannu Sudermannu, Arthurju

Schnitzlerju in Franku Wedekindu

Magistrsko delo

Mentorica:

izr. prof. dr. Irena Samide Magistrski pedagoški študijski program druge stopnje:

Nemščina

Ljubljana, 2021

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DANKSAGUNG

An dieser Stelle möchte ich mich bei meiner Mentorin Frau Ao. Prof. Dr. Irena Samide für ihre Mitarbeit und alle hilfreichen Ratschläge herzlich bedanken.

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IZVLEČEK

Prostitucija v književnosti na prelomu stoletja 1900 pri Hermannu Sudermannu, Arthurju Schnitzlerju in Franku Wedekindu

Pričujoče magistrsko delo primerja tri besedila in hkrati njihove avtorje iz različnih literarnih obdobij. Predmet opazovanja pri besedilih so bila predvsem nezapisana družbena pravila in njihov vpliv na dostojanstvo in čast različnih družbenih slojev od prostitutke pa vse do grofa. Pri teh protagonistih so se pokazale razlike v dojemanju družbenih pravil in lastnega dostojanstva kot tudi ugleda v družbi. Pokazale so se tudi razlike in podobnosti v literarnih obdobjih in mišljenju avtorjev.

Ključne besede: nemška književnost, prelom stoletja 1900, prostitucija, družbene norme, Lulu, Sodoms Ende, Reigen

ABSTRACT

Prostitution in Literature at the Turn of the Twentieth Century: Hermann Sudermann, Arthur Schnitzler and Frank Wedekind

The following Master’s Thesis compares three literary works and their authors, all originating from different literary periods. The subject of observation were mostly the subliminal rules of society and their influence on the perceived dignity and status of individuals from different social classes, ranging from prostitutes to the count himself.

These protagonists have shown a contrasting understanding of social rules, their own dignity, and their status. Comparing the authors has shown many similarities and some differences in their thinking as well.

Keywords: German literature, turn of the twentieth century, prostitution, social norms, Lulu, Sodom’s End, The Round

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INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG ... 5

2 LITERATURHISTORISCHER KONTEXT ... 7

2.1 Zum Naturalismus ... 7

2.2 Zur Wiener Moderne ...13

3 BEGRIFFSERKLÄRUNG... 20

4 AUTOREN ... 21

4.1 Hermann Sudermann ...21

4.2 Frank Wedekind ...23

4.3 Arthur Schnitzler ...25

5 AUSGEWÄHLTE DRAMEN ... 28

5.1 Sodoms Ende ...28

5.1.1 Handlung ... 28

5.1.2 Soziale Stände ... 31

5.1.3 Triebe ... 33

5.1.4 Ehre ... 34

5.2 Lulu ...37

5.2.1 Handlung ... 37

5.2.2 Soziale Stände ... 40

5.2.3 Triebe ... 42

5.2.4 Ehre ... 42

5.3 Reigen ...44

5.3.1 Handlung ... 44

5.3.2 Gesellschaftliche Stände ... 48

5.3.3 Triebe ... 50

5.3.4 Ehre ... 51

5.4 Fazit ...53

6 SCHLUSSBEMERKUNGEN ... 55

7 ZUSAMMENFASSUNG ... 57

8. POVZETEK ... 58

9 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS ... 59

9.1 Primärliteratur ...59

9.2 Sekundärliteratur ...59

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1 EINLEITUNG

Gesellschaftliche Normen prägen seit je die Denkweise von Literaten und Künstlern.

Sie rahmen sie einerseits ein, andererseits stellen sie aber oft den Ausgangspunkt für ihr Schaffen dar. Mit der Industrialisierung wird die bürgerliche Gesellschaft in Städten verdichtet und viele Menschen leben unter dem starken Einfluss der ungeschriebenen Konventionen und Normen des Bürgertums. Dies drückt sich unter anderem in der Literatur aus und um die Jahrhundertwende 1900 entstehen verschiedene literarische Strömungen, vom Naturalismus über Impressionismus und Symbolismus zur Dekadenz und anderen Bewegungen innerhalb der Moderne. Inwiefern sich Individuen aus verschiedenen Ständen an diese Konventionen halten, ist in der Literatur des Naturalismus und der Moderne unterschiedlich dargestellt.

Mit dieser Magisterarbeit wird somit der Versuch unternommen, zu zeigen, inwiefern die Protagonisten in den ausgewählten Dramen die gesellschaftlichen Normen im Kontrast zu ihrem „Ich“ befolgen und wie sich dabei ihre Ehre und Würde darbieten. Ich habe drei Dramentexte von drei Autoren als Gegenstand der Beobachtung und Bearbeitung gewählt. Das sind Hermann Sudermann (1857–1928) mit Sodoms Ende, Frank Wedekind (1864–1918) mit Lulu und Arthur Schnitzler (1862–1931) mit dem Reigen. Dabei können Sudermann als Vertreter des Naturalismus und Schnitzler sowie Wedekind als Protagonisten der Moderne kategorisiert werden, wobei besonders bei Wedekind ein sehr unikater Stil festgestellt werden kann.

In meiner Magisterarbeit gehe ich von zwei Grundthesen aus:

1.) Es wird erwartet, dass sich die Ehre und Würde bei einzelnen Protagonisten in Korrelation sowohl zu ihren Trieben als auch zu den gesellschaftlichen Normen in den drei ausgewählten Dramen untereinander unterscheiden.

2.) Ebenso unterscheiden sich die Ehre und Würde je nachdem, ob die Protagonisten Vertreter der höheren oder niedrigeren Stände sind.

Die Magisterarbeit kann grob in zwei Teile gegliedert werden. Im ersten Teil werden die Grundbegriffe erörtert, die ausgewählten Epochen und Autoren vorgestellt sowie die Begriffe Ehre und Würde näher erklärt. Im zweiten Teil kommt es zur

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Auseinandersetzung mit den drei ausgewählten Primärtexten, wobei aus jedem Text das Wichtigste zu den Themen Ehre, soziale Stände und Triebe herausgefiltert und analysiert wird.

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2 LITERATURHISTORISCHER KONTEXT

2.1 Zum Naturalismus

Die Epoche des Naturalismus verläuft zwischen den Jahren 1880 und 1900. Es ist eine Epoche, die stark von sozialen und politischen Veränderungen geprägt ist. Diese Veränderungen prägen die Denkweise und den Alltag des Menschen, der immer weniger die Flucht in das Mystische sucht, und sich eher dem Realen und Erklärbaren widmet. Um den Naturalismus zu verstehen, muss man aber die Umstände der damaligen Gegenwart genauer betrachten.

Der Naturalismus kann nämlich nicht nur auf Kunst bzw. Literatur eingeschränkt, sondern muss im Zusammenhang mit sozial- und lebensreformerischen Impulsen betrachtet werden.1 Durch diese entsteht ein gewisser Zeitgeist, der erst am Ende der Epoche vollkommen sichtbar und verständlich wird. Bei dem Naturalismus ist der Zeitgeist Veränderungen wie der Industrialisierung und dem damit verbundenen Umzug der Menschenmasse in die Städte, aber auch der demzufolge veränderten Denkweise dieser Menschen, unterworfen. Eine dieser Veränderungen ist in Deutschland auch der im 19. Jhd. existierende wirtschaftliche Aufstieg. Diesen verdankt man der Industrialisierung und dem Eisenbau. Logischerweise kommt es deswegen in Städten zum größeren Bedarf nach Arbeitern, von denen es auf dem Land nicht mangelt.2 Somit ziehen immer mehr Menschen wegen der Arbeit in die Stadt um und mit der Zeit kommt es deswegen zu immer schlechteren Lebens- und Arbeitsverhältnissen, die eine Spaltung zwischen dem 3. und 4. Stand, d. h. dem Proletariat und dem Bürgertum bewirken.3 Dies fängt jedoch schon vor der Epoche des Naturalismus an. Deswegen sind die Grenzen des Realismus, Naturalismus und später der Moderne ein wenig verschwommen. Demzufolge kann der Naturalismus nach Meinung von manchen Literaturwissenschaftlern auch als eine Zwischenepoche betrachtet werden.4 Er ist eine Anknüpfung an den Realismus und gleichzeitig ein Ausgangspunkt für die Moderne. Dennoch unterscheidet sich der Naturalismus von den

1 Vgl. Ingo Stockmann (2011): Naturalismus. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart: J.B. Metzler, S. 88.

2 Vgl. Annemarie und Wolfgang van Rinsum (1994): Deutsche Literaturgeschichte. Band 7. Realismus und Naturalismus. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 23–24.

3 Vgl. ebd., S. 24.

4 Vgl. Stockmann (2011): Naturalismus, S. 3.

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beiden erwähnten Epochen in vielen Merkmalen, auf die im Folgenden gründlicher eingegangen wird.

Neben den Einflüssen aus dem Ausland verändert sich die Gesellschaft auch wegen des Strebens des Proletariats nach Bildung. Der Arbeiter wird in der Zeit vor der Jahrhundertwende zum aufmerksamen Leser, was sich auch in der Literatur manifestiert.5 Besser ausgebildetes Proletariat führt jedoch nicht zu kleineren sozialen Unterschieden. Im Gegenteil, diese werden immer größer. So schreibt Roy. C. Cowen:

[…] Aber als immer mehr Geld zum Fließen gebracht wird, als der Mittelstand immer mehr in eine finanzielle Intoxikation gerät, als er sich immer mehr Allüren aneignet und sich dadurch im geldlichen sowie im gesellschaftlichen Sinne weiter von der Arbeiterklasse distanziert, wird die Kluft zunehmend größer zwischen den Kapitalisten und dem Proletariat.6

Es kommt deswegen zu neuen Ideen die Gesellschaft zu revolutionieren. Es breiten sich die Ideen des Sozialismus von Marx und Engels aus. Diese haben u. a. Einfluss auf Literaten, die die sozialistischen Ideen und damit die materialistische Grundeinstellung annehmen und sich mit dem Proletariat auseinandersetzen.7

Während sich auf manchen Gebieten vieles verändert und modernisiert, bleibt anderswo im Grunde vieles stehen. Die Idee der Familie ist mehr oder weniger dieselbe, deswegen bleibt die Rolle der Frau, kollektiv betrachtet, beinahe unverändert. Obwohl sich im Rahmen der Frauenemanzipation im 19. Jahrhundert langsam etwas tut, steht nämlich in der Gesellschaft noch immer der konservative stereotypische Gedanke im Vordergrund, die Frau sei eine Hausfrau und vorzeigbare Gattin.8

Neben der Ökonomie und der Gesellschaft verändert sich auch das geistige Gebiet. Die Metaphysik verliert an Bedeutung, an ihre Stelle treten jetzt die Naturwissenschaften.9 Auguste Comte und sein Positivismus kommen in Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Geltung. Der aus Frankreich stammende Positivismus beschränkt all das Wissen auf das Empirische.10 Comte lässt somit nur das

5 Vgl. Roy C. Cowen (1973): Der Naturalismus. Kommentar zu einer Epoche. München: Winkler, S. 15.

6 Ebd., S. 14.

7 Vgl. Sigfrid Hoefert (1973): Das Drama des Naturalismus. Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchshandlung, S. 2.

8 Vgl. Rinsum (1994): Realismus und Naturalismus, S. 25.

9 Vgl. ebd., S. 27.

10 Vgl. ebd.

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Erfahrbare als Grundlage des menschlichen Bewusstseins gelten. 11 Eine der Denkweisen dieser Zeit ist auch der von Darwin begründete Evolutionismus, der besagt, der Geist, die Freiheit, die Seele und Gott sind vom Menschen erfunden.12 Diese Denkweise distanziert sich drastisch von der traditionellen religionsgebundenen und erklärt den Menschen und seine Umgebung konträr zur Mystik und Metaphysik, d. h.

auf eine wissenschaftlich begründete Art und Weise. Darwins Lehre stimmt deswegen mit dem naturalistischen Konzept überein, weil der Artenwandel mit der deterministischen Weltanschauung, die eine genetische Komponente enthält, einen geeigneten Rahmen für die naturalistische Weltanschauung darstellt. Der Daseinskampf ist somit ein grundlegender Bestandteil des Darwinismus sowie des Naturalismus.13 Man versucht also alle begreifbaren Phänomene zu begründen.

Folglich wird das Erklärbare zum Fundament. Gut erklärbar und empirisch ist die Existenz und das Funktionieren vom Menschen nach der Milieutheorie. Hippolyte Taine ist der Begründer der Milieutheorie, nach der die menschliche Entwicklung nach drei Determinanten verläuft. Das sind das Milieu, die Rasse und der Moment.

Neben der Milieutheorie, die den Menschen nicht als ein freiwilliges Lebewesen, sondern als ein Opfer von verschiedenen Determinanten darstellt, tauchen auch Ideen auf, die den Menschen als ein Opfer, vor allem seiner Triebe, darstellen. So ist z. B.

Emilé Zola, der der Natur auf den Grund gehen will, der Meinung, der Mensch sei nicht Herr über die Dinge, sondern nur ein Teil des Ganzen, der Natur.14 Und wenn die Triebe diejenigen sind, die bis jetzt verdrängt worden sind, ist die Idee des Naturalismus, sie zu akzeptieren. Auch Nietzsche bringt die Triebe in den Vordergrund: Er definiert aufs Neue den Menschen, der seines Erachtens ein vom Gott unabhängiges vom Lebenswillen gesteuertes praktisches Lebewesen ist, das seine Triebe nicht unterdrückt.15 In der Theorie distanziere sich demnach der Mensch von der Kirche und deren Ideologie sowie von den ungeschriebenen Konventionen im Allgemeinen: „Der Mensch ist demnach abhängig von Umwelt und Vererbung, seinen Trieben und seiner Psyche.“16 Weil das Publikum, das die Künstler und Autoren ansprechen wollen, wegen des gebildeten Proletariats immer zahlreicher wird, kommt es in dieser Zeit zu

11 Vgl. Hoefert (1973): Das Drama des Naturalismus, S. 2.

12 Vgl. Rinsum (1994): Deutsche Literaturgeschichte, S. 29.

13 Vgl. Stockmann (2011): Naturalismus, S. 38–39.

14 Vgl. Rinsum (1994): Deutsche Literaturgeschichte, S. 38.

15 Vgl. ebd., S. 33.

16 Ebd., S. 307.

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einer Blüte des Zeitschriftenwesens. Eine solche Zeitschrift ist z. B. die 1890 gegründete Freie Bühne für modernes Leben, die das Niveau des Theaters heben und die Zensur mildern bzw. abschaffen will.17 Wie sehr immer noch die alten Denkmuster im Vordergrund stehen und die neuen als unakzeptabel gelten, kommt nämlich auch durch die strenge Zensur zum Vorschein. Aber auch hier zeigt sich der internationale Einfluss auf den Naturalismus. Viele Aktivitäten verlaufen nicht unabhängig von vergleichbaren Aktionen im Ausland. So entstand die Freie Bühne z. B. nach dem französischen Muster von Théâtre Libre und hatte zwei Funktionen, eine als Theaterverein (gegründet bereits 1889) und die andere als Rundschauzeitschrift.18

Alle neuen Denkweisen prägen natürlich stark den Naturalismus als Literaturepoche, wobei der Mensch auf eine wissenschaftliche und erklärbare Weise verstanden wird.

Mit der neuen Weltanschauung verändert sich auch die Literatur. Im Vordergrund der naturalistischen Literatur steht das Drama. Dieses verändert sich sowohl strukturell als auch thematisch. Mit der Milieudarstellung wird es episiert und aus dem Helden wird der unfreie Mensch, der seiner Umwelt und Psyche untergeordnet ist. Man versucht, so gut es geht, lebensnah die Handlung abzubilden, wobei Anfang und Ende oft offen bleiben.19 Vor allem ist es wichtig, die Wirklichkeit, d. h. die Natur, so detailliert und getreu wie es nur geht, nachzubilden: „Das dramaturgische Prinzip des Naturalismus forderte wie in der Erzählprosa eine Art Photographie des Alltagslebens.“20 Die Wirklichkeit funktioniert jedoch nicht immer nach dem Prinzip einer Katharsis, die in der Dramatik bis jetzt Standard war: „Im Drama des konsequenten Naturalismus gibt es keine Schuld und keine Sühne im Sinne des klassischen Dramas, keine Reue und keine Strafe.“21

Der Schreibstil wird der Themenwahl und Denkweise in der Literatur angepasst, deswegen entstehen neue Techniken, die den Schriftstellern ermöglichen die Welt, so präzise wie es geht, wiederzugeben. Eine der Techniken der Naturalisten ist auch die Verwendung der Alltagssprache. Diese taucht durch den Volksdialekt und den Großstadtjargon oft und vor allem in der Dramatik auf.22 Eine andere Technik, die die

17 Vgl. Rinsum (1994): Deutsche Literaturgeschichte, S. 306.

18 Vgl. Ingo Stockmann (2011): Naturalismus, S. 89.

19 Vgl. Rinsum (1994): Deutsche Literaturgeschichte, S. 323.

20 Ursula Münchow (1968): Deutscher Naturalismus. Berlin: Akademie, S. 51.

21 Ebd., S. 52.

22 Vgl. ebd., S. 66.

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Naturalisten verwenden, sind sehr genaue Regieanweisungen. Der Regietext wird somit zum gleichberechtigten Teil des Dramas, genau wie der Dialog.23

Wegen aller Neuigkeiten entstehen auch neue Formen des Dramas. Vor allem ist hier das soziale Drama zu nennen, das wegen der neuen sozialen Struktur in der Zeit der Industrialisierung entsteht.24

Der Naturalismus ist ebenso kein lokales Phänomen. Er ist in verschiedenen Ländern präsent und ist ein Produkt von kulturellen Transferprozessen.25 Deutsche naturalistische Literatur ist somit stark von der ausländischen beeinflusst.

Die Wissenschaften und die Kunst werden vermischt und alles dreht sich um den Begriff „Natur“. Der Begriff wird verschieden interpretiert und von Denkern und Autoren der Zeit immer wieder aufs Neue definiert. Einer, der das im theoretischen Sinne erfassen und abschließen will, ist Arno Holz. Er beschäftigt sich mit der Kunst im Praktischen wie auch im Theoretischen. Er stellt nicht nur den Begriff der Natur, sondern auch der Kunst unter die Frage und versucht mehr oder weniger erfolgreich die Kunst zu revolutionieren.26 Seines Erachtens nach ist die Kunst nichts Weiteres als ein Reproduktionsprozess, worin man als Künstler versucht die Natur zu reproduzieren. Er ist also der Meinung, die Kunst sei eine Nachahmung der Natur und er schließt seine Gedanken mit der bekannten Gleichung „Kunst = Natur – x“ ab.27

Eines der Vorbilder deutscher Naturalisten war der bereits erwähnte Emilé Zola.

Er definiert die Natur nicht nur durch seine realitätsnahe Abbildung der Wirklichkeit, sondern versucht den Grund für die Wahrheit und somit für menschliche Schwächen zu finden.28 Bei ihm tauchen Themen wie Armut, das Hässliche, Brutale, usw. häufig auf.29 Die Themenwahl basiert bei ihm nur auf der Darstellung der Realität, mit der der Autor das wahre Gesicht der Wirklichkeit abbildet. In dieser ist der Mensch für seine Existenz, für seine Art von Dasein und Funktionieren nicht wirklich verantwortlich, sondern fungiert als ein Opfer von äußeren Faktoren. Zola betrachtet den Elendsmenschen also rein naturwissenschaftlich und somit als ein Opfer von Vererbung und Milieu.30 Neben Zola ist für den deutschen Naturalismus aus der Sicht

23 Vgl. Stöckmann (2011): Naturalismus, S. 34.

24 Vgl. ebd., S. 96.

25 Vgl. ebd., S. 17.

26 Vgl. Münchow (1968): Deutscher Naturalismus. Berlin: Akademie, S. 70.

27 Vgl. ebd., S. 63.

28 Vgl. Rinsum (1994): Deutsche Literaturgeschichte, S. 38.

29 Vgl. ebd.

30 Vgl. Ursula Münchow (1968): Deutscher Naturalismus. Berlin: Akademie, S. 11.

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des Themenbereiches ebenso Henrik Ibsen wichtig, der mit Themen wie Selbstmord, Inzest, Alkoholismus stark die deutschen Naturalisten prägt.31 Aber auch Schriftsteller aus dem Osten sind einflussreich. Leo F. Tolstoi, z. B., zeigt die Natur in all ihrer Rohheit und Grausamkeit und wird ebenso zum Idol der deutschen Naturalisten.32

Bereits im Realismus gab man sich vor, die Wirklichkeit nachzuahmen und sie darzustellen, jedoch zog man da noch gewisse Grenzen. Somit stellte man eine poetisierte Wirklichkeit dar, was die Naturalisten verändern wollen. In Frankreich wurde schon Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts die Kunst verändert. Es wird nach Genauigkeit, Sachlichkeit und Lebensnähe, auch wenn diese manchmal abscheulich ist, gestrebt. Für Balzac, Flaubert und Zola werden der Mensch sowie die Natur ein wissenschaftliches Objekt der Beobachtung.33 Die Objektivität beim Beobachten ist dabei diejenige, die dem Beobachter, sei dies en Künstler, Schriftsteller oder ein Wissenschaftler, ermöglicht die Wirklichkeit abzubilden, obwohl diese manchmal abscheulich ist:

Was quasi als kleinster gemeinsamer Nenner alle jungen Künstler verband, war das Ziel, die Natur getreu wiederzugeben und dabei konsequenter zu verfahren als die

„bürgerlichen Realisten“. Sie machten keinen Halt vor dem Niedrigen, Hässlichen, ja Ekelhaften. So wurden Armut, Schmutz, Elend, Brutalität, Krankheit, Wahnsinn zu literarischen Themen. Man stellte große Laster dar: Alkoholismus, sexuelle Ausschweifung und Hörigkeit.34

Ein Umfeld, das all dies bietet und gut zur Beobachtung von Menschen und deren Benehmen passt, ist die Großstadt, wo es an Vielfalt von Extremen nicht fehlt. Die Großstadt verdichtet nämlich die Menschenmasse und rückt all das Elend und das Hässliche umso mehr in den Vordergrund. Die Entstehung der Großstädte bietet den Naturalisten somit ein Bild des menschlichen Elends, das eines der Hauptthemen des Naturalismus ist.35

Die Realität wird auch durch die Darstellung des Unbedeutenden, Unheroischen und Durchschnittlichen geschildert. Die Großstadt, der bürgerliche Alltag, vor allem

31 Vgl. Stöckmann (2011): Naturalismus, S. 18.

32 Vgl. Rinsum (1994): Deutsche Literaturgeschichte, S. 40.

33 Vgl. ebd., S. 37–38.

34 Ebd., S. 307.

35 Vgl. Cowen (1973): Der Naturalismus, S. 16.

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aber der Proletarier treten in den Vordergrund.36 Wie sehr die Nachahmung der Realität in dieser Zeit aktuell ist, bestätigt auch die folgende Aussage: „Höchste Kunst wäre dann die Natur selbst; ihr am nächsten käme die Photographie; abstrakte oder stilisierte Kunst hätte keine Daseinsberechtigung“37

Eines der Themen ist auch die Prostitution, die jetzt unter allen neuen Denkmustern umso mehr in den Vordergrund tritt und bei Autoren dieser Zeit zum Vogue wird.38 Bei Themen wie Prostitution kommen ungeschriebene Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft zum Vorschein, die manchmal unkontrolliert gebrochen werden.

2.2 Zur Wiener Moderne

Der Begriff modern wird einerseits heute ebenso verwendet, wie er um die Jahrhundertwende 1900 verwendet wurde, d. h., dass er auch ahistorisch aufgefasst werden kann. Andererseits wird damit eine bestimmte Epoche – nämlich die um 1900 – bezeichnet. Aufgrund dieser diversen Auffassungen ist es sinnvoll, sich erst mit dem Begriff auseinanderzusetzen.

Max Burckhard beschreibt den „modernen Menschen“ so: „Anders will er alles machen, als es bisher war, das ist der unbewußte Zug in ihm, unter dessen Bann er steht.“39 Es handelt sich also um die Veränderung als Hauptgegenstand. Diese zeigt sich in der Literatur, Kunst, Architektur, usw. Weil diese Veränderung, dieses Gegenwärtige in jeder neuen Epoche, die von der alten in irgendeiner Weise abweichen muss, vorhanden ist, ist in diesem Zusammenhang jede Epoche auf ihre Weise modern:

„Im guten Sinn heißt modern sein, sich ganz den Anforderungen der Gegenwart hingeben, seiner Zeit das zu geben, was sie braucht, was ihr nottut. In diesem Sinn muss jede Epoche modern sein, wenn sie lebendig sein will.“40

Und die Wiener Moderne ist lebendig, auf vielen Bereichen und mit kultureller Verflechtung mit anderen Ländern. Sie ist nicht nur auf Wien begrenzt, sondern es

36 Vgl. Münchow (1968): Deutscher Naturalismus, S. 148.

37 Rinsum (1994): Deutsche Literaturgeschichte, S. 310.

38Vgl. Hoefert (1973): Das Drama des Naturalismus, S. 18.

39 Max Burckhard (1899): Modern. In: Die Zeit, Nr. 259 (16. September 1899), S. 185–186. Der Text ist veröffentlicht auch in: Gotthart Wunberg (1982) (Hrsg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1900. Stuttgart: Reclam, S. 274–275. – označila z rumeno, da ne spregledate

40 Richard Kralik (1982): Was ist modern? In: Gotthart Wunberg (Hrsg.): Die Wiener Moderne, S. 197–

198.

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werden verschiedene Stile und Ideen aus anderen Ländern und Städten, wie z. B. Paris oder Berlin, zur Inspiration und zum Stoff, den man weiter bearbeitet. Sie ist aber auch ein harmonisches Miteinander von Bereichen wie der Bildenden Kunst, Architektur, Musik, Literatur, Kaffeehauskultur, Philosophie, Psychologie u. Ä.41

Bis 1848 waren Paris und Wien, wie dies Hermann Broch ausführlich schildert,42 Weltstädte, weswegen sie einen ähnlichen Volkscharakter und folglich Ähnlichkeiten in der Kunst, Kultur, Literatur, usw. entwickeln. Danach wurde Wien immer provinzieller:

Während Paris seine Barockstruktur in Revolutionsstößen überwand und sich hierdurch die Entfaltung zu der in ihm bereits keimenden Weltstadt ermöglichte, ist Wien Barockstadt geblieben, fern von der jeder Weltstadt eigentümlichen leidenschaftlichen Düsterkeit und ihrem latenten Revolutionismus [...]43

Weil Wien Barockstadt geblieben ist, wurde die Dekorativität ein grundlegendes Charakteristikum der ganzen Epoche. Dies zeichnete sich besonders in der Musik und Theatertradition aus.44 Wien wurde radikal dekorativ, aber nicht nur auf dem Gebiet der Kunst: „In Erfüllung seiner Traditionspflicht verwechselte Wien Museumshaftigkeit mit Kultur und wurde [...] zum Museum seiner selbst.“45 Wien wurde im geistigen sowie im politischen Sinn museal. Es verlor seine weltpolitische Mission, indem es auf eine Weltwirkung praktisch verzichtete.46

Erst um 1900, durch geistige Entwicklungen im Bereich der Kunst, Literatur, Architektur, Musik, Philosophie und Freuds Psychoanalyse, verändert sich die Weltanschauung. Diese geht aus dem Objektiven immer mehr ins Subjektive, Innere.

Das „Ich“ und der „Traum“ werden zu Hauptgegenständen der Behandlung, weswegen die „reale“ Welt eine andere Funktion als im Naturalismus bekommt. Das Individuum hat nicht mehr die Funktion die äußere Welt detailliert zu schildern, sondern will sich

41 Vgl. Gotthart Wunberg (1982): Einleitung. In: Ders. (Hrsg.): Die Wiener Moderne, S. 11–79, hier S.

11.

42 Hermann Broch (1975): Hofmannsthal und seine Zeit. Eine Studie. In: Paul Lützeler (Hrsg.):

Hermann Broch: Das essayistische Werk und Briefe 1913–1951. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 111–

284.

43 Ebd., S. 151.

44 Vgl. ebd., S. 147.

45 Ebd., S. 148.

46 Vgl. ebd., S. 152.

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selber, das „Ich“ definieren und durch sich die wahre Gestalt des Universums erkennen.

Otto Weininger spricht vom Ich als einem „Wartesaal für Empfindungen“47.

Ernst Mach und Friedrich Nietzsche sind die wichtigsten und einflussreichsten Philosophen, die auf die Literatur der Wiener Moderne einwirkten. Für beide wird das

„Ich“ zum Gegenstand. Nietzsches Schriften sind sogar so in die Denkweise der Literaten und Künstler der Wiener Moderne eingewurzelt, dass sie von ihnen intuitiv reproduziert und verwendet werden.48

Wenn die Natur im Naturalismus als ein existierendes Ganzes detailliert geschildert wird, ist es in der Wiener Moderne genau umgekehrt. In der Philosophie der Wiener Moderne wird sie folgendermaßen definiert: „Farben, Töne, Wärmen, Drücke, Räume, Zeiten, usw. sind in mannigfaltiger Weise miteinander verknüpft, und an dieselben sind Stimmungen, Gefühle und Willen gebunden. Aus diesem Gewebe tritt das relativ Festere und Beständigere hervor, es prägt sich in dem Gedächtnisse ein, und drückt sich in der Sprache aus.“49 Die Natur, wie sie das Individuum empfindet, ist somit an die Sinne und Emotionen des Individuums gebunden. Folgendermaßen kreiert es die Wirklichkeit selbst, weswegen man von keiner objektiven Wirklichkeit spricht, sondern von sich ständig verändernden Phänomenen, die durch die noch einzig dauernde Komponente des „Ich“ zur Geltung gebracht werden:

Als relativ beständig zeigt sich ferner der an einem besonderen Körper (den Leib) gebundene Complex von Erinnerungen, Stimmungen, Gefühlen, welcher als Ich bezeichnet wird.50

Ähnlich definiert Hermann Bahr das unrettbare Ich als ein „Behelf, den wir praktisch brauchen um unsere Vorstellungen zu ordnen.“51

47 Otto Weininger (1904): Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung. Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller, S. 199.

48 Vgl. Gotthart Wunberg (1982): Philosophie, Psychologie, Kultur. In: Ders. (Hrsg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1900. Stuttgart: Reclam, S. 133–136, hier S.

134.

49 Ernst Mach (1886): Die Analyse der Empfindungen und das Verhältniss des Physischen zum Psychischen. Beiträge zur Analyse der Empfindungen. Jena: Verlag von Gustav Fischer, S. 2.

50 Ebd., S. 3.

51 Hermann Bahr (1913): Das Hermann-Bahr-Buch. Berlin: S. Fischer, S. 99.

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Die Wiener Moderne kann man nach gewissen Begriffen zergliedern. Die sogenannten „Merkworte der Epoche“52 sind alle Teil der Wiener Moderne, nur dass sie sich in gewissen Details voneinander unterscheiden.

Eines der bekanntesten ist die Dekadenz. Die Dekadenten sind eine neue Generation, die weg vom Naturalismus wollen, bzw., wie Hermann Bahr es bereits 1891 ausdrückt: „Sie suchen die Kunst nicht draußen. Sie wollen keine Abschrift der äußeren Natur.“53 Sie ähneln gewissen Richtungen, obwohl sie selber in eine ganz eigene gehen wollen. Bahr vergleicht sie z.B. mit den Romantikern:

Sie haben von der Romantik das ungemessene zügellose Streben in die Wolken [...]

Und sie haben auch den nebeligen Dämmerschein, [...], die Rembrandtstimmung der Romantik. Aber sie sind eine Romantik der Nerven. [...] Nicht Gefühle, sondern Stimmungen suchen sie auf.54

Der Dekadente sucht auch die Flucht aus der Natur, aus dem Primären, Triebhaften, er vergöttert die vom Menschen künstlich erschaffene Welt:

Angewidert von der platten, gemeinen und missgebornen Welt, jeder Hoffnung entschlagen und krank an der Seele und im Leibe, flieht er in ein durchaus künstliches Leben [...]55

Ein weiteres Merkwort ist der Symbolismus, der eigentlich kein neuer Begriff ist. Der alte Symbolismus will mit Hilfe von Symbolen das Innere, das, was man sonst nur schwer zeigen könnte, schildern. Der neue benutzt die Symbole als eine Bereicherung des Handwerks:56 „[...] die Technik der Symbolisten nimmt einen anderen und entlegenen Gegenstand, aber der von dem nämlichen Gefühle begleitet sein müßte.“57 Im Leser werden also durch ganz indirekte Tatsachen die gleichen Gefühle geweckt, als wenn man direkt die Handlung beschreiben würde.

52 Gotthart Wunberg (1982): Merkworte der Epoche. In: Ders. (Hrsg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1900. Stuttgart: Reclam, S. 215–224.

53 Hermann Bahr (2006): Die Décadence. In: Ders.: Kritische Schriften IV. Weimar: VDG, S. 24–30, hier S. 24.

54 Ebd., S. 25.

55 Ebd., S. 27.

56 Vgl. Hermann Bahr (2006): Symbolisten. In: Ders.: Kritische Schriften IV. Weimar: VDG, S. 31–36, hier S. 32.

57 Ebd., S. 33.

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Die Akteure der Wiener Moderne respektieren u. a. auch die Renaissance und verwenden oft ihre Stoffe und Formen. Sie bewundern sie, doch es gelingt ihnen nie wirklich auf ihr Niveau zu kommen. „Dort schrankenloses Begehren und Aneignen, hier Stumpfheit der Seele und des Körpers.“ 58 Sie bewundern den Renaissancemenschen:

Lebenskünstler wollen sie sein, wie die Renaissancemenschen. Aber sie kommen damit nicht zu Stande, denn es fehlt ihnen der Schwung der Seele. Alles, was sie erreichen, ist, Genussmenschen zu sein.59

Der Impressionismus ist vor allem als eine Technik in der Malerei bekannt. Herman Bahr sieht in ihr aber mehr als nur eine Technik. Er spricht über eine Weltanschauung, die der Impressionismus vermittelt, und die man haben muss, um ihn zu verstehen. Es handelt sich um die Relation der Natur, bzw. der Welt, wie sie tatsächlich ist, und des Wahrnehmens dieser Welt durch die menschlichen Sinne. In dieser Weltanschauung muss sich der Beobachter bewusst sein, dass es vielleicht nicht eine objektive Wahrheit ist, die er sieht, sondern eine Täuschung seiner Sinne.60

Wem es nicht bei sich gewiß geworden ist, daß wir gar kein Recht haben, die Meldungen unserer Sinne in richtige und falsche abzuteilen, daß alles unaufhaltsam fließt, daß es überall nur Bewegung, nur ewige Verwandlung, nirgend eine Grenze gibt, der wird den Impressionismus nicht empfinden können.61

Nach all den Epochen, die man schon kannte, haben jetzt die Autoren ein Gefühl, dass alles schon bearbeitet, gesehen und erreicht wurde. Deswegen haben sie ein Gefühl, dass alles langsam zu Ende geht. Eine sogenannte Fin-de-Siècle-Stimmung ist vorhanden.62 : „[...] die überanstrengten Nerven reagieren nur auf die ungewöhnlichen Reize und versagen den Normalen jeden Dienst [...]“63

58 Hans Sittenberger (1982): Renaissance. In: Gotthart Wunberg (Hrsg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1900. Stuttgart: Reclam, S. 254–256, hier S. 255.

59 Ebd.

60 Vgl. Hermann Bahr (1982): Impressionismus. In: Gotthart Wunberg (Hrsg.): Die Wiener Moderne.

Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1900. Stuttgart: Reclam, S. 257–259, hier S. 257.

61 Ebd., S. 258.

62 Vgl. Marie Herzfeld (1982): Fin de siècle. In: Gotthart Wunberg (Hrsg.): Die Wiener Moderne.

Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1900. Stuttgart: Reclam, S. 260–265, hier S. 261.

63 Ebd.

(18)

Ein zentraler Begriff der Literatur der Wiener Moderne ist „Junges Wien“ oder

„Junges Österreich“, eine Gruppe von Autoren in Wien, die eine neue, eigene Art des Schreibens und Weltanschauung vertreten. Wunberg beschreibt es mit den Worten:

„[...] das Junktim von Eigenständigkeit und Innovation [...]“64.

Alles, was bis jetzt aktuell war, scheint zwar von der neuen Generation respektiert zu werden, jedoch will sie einen neuen, eigenen Weg gehen. Sie publizieren in der damaligen Zeitschrift Die Moderne Dichtung/Die Moderne Rundschau.65

Die Angehörigen dieser Gruppe, u. A. Schnitzler, Bahr und Hofmannsthal, halten sich oft im Café Griensteidl auf, das der Grundlegendste Bestandteil der Kaffeehausliteratur ist. Neben der Tatsache, dass Wien den Künstlern ermöglichte, sich schnell und einfach zu verständigen, lebten sie relativ nahe und konnten sich neben in der Oper, im Theater, usw. auch in Kaffeehäusern treffen. Diese wurden zu einem der Haupttreffpunkte und zu einer der wichtigsten Verbindungen zwischen dem Kulturleben und Literatur dieser Zeit.66

Am Anfang der Literatur der Wiener Moderne versucht man den Naturalismus fortzusetzen, bzw. sich an ihm zu orientieren, aber mit dem Unterschied, dabei noch das Innere des Menschen miteinzubeziehen. Es handelt sich also um eine detaillierte Innen- wie auch Außenbeschreibung.67 Später wird der Begriff Wiener Moderne mit dem Begriff Überwindung des Naturalismus verbunden, bzw. gleichgesetzt, womit sich das eigentliche Wesen der Wiener Moderne offenbart und zwar, dass sie eher eine Gegenströmung sein sollte.68

Die Literaten der Wiener Moderne wollen mit ihrer neuen Weltanschauung und den neuen Kenntnissen auf dem Gebiet der Physik, Psychologie, u. Ä. eine neue, unabhängige Epoche in der Literatur erzeugen.69 Sie wollen, so tief es geht, in den Menschen, bzw. in seine Psyche/Seele hineindringen und von dort aus ihre Gefühle, vor allem aber die Welt, wie sie von diesem Blickwinkel erscheint, beschreiben: „Man

64 Gotthart Wunberg (1982): Einleitung. In: Ders. (Hrsg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1900. Stuttgart: Reclam, S. 11–79, hier S. 12.

65 Vgl. ebd., S. 15.

66 Vgl. ebd., S. 17.

67 Vgl. Gotthart Wunberg (1982): Literarische Epoche. In: Ders. (Hrsg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1900. Stuttgart: Reclam, S. 185–188.

68 Vgl. Hermann Bahr (1962): Die Überwindung des Naturalismus. In: Erich Ruprecht (Hrsg.):

Literarische Manifeste des Naturalismus 1880–1892. Stuttgart: Metzlersche Verlagsbuchhandlung, S.

249–255.

69 Vgl. Gotthart Wunberg (1982): Literarische Epoche. In: Ders. (Hrsg.): Die Wiener Moderne, S. 185–

188, hier S. 186.

(19)

treibt Anatomie des eigenen Seelenlebens oder man träumt. Reflexion oder Phantasie, Spiegelbild oder Traumbild.“70 Dabei stellt das Individuum das Zentrale dar: „Eine Wahrheit ist der Körper, eine Wahrheit in den Gefühlen, eine Wahrheit in den Gedanken.“71 Dabei dienen ihnen die Sinne als ein Konnektor zwischen der Innen- und Außenwelt: „Ja nur den Sinnen wollen wir uns vertrauen, was sie verkündigen und befehlen. Sie sind die Boten von draußen, wo in der Wahrheit das Glück ist. Ihnen wollen wir dienen.“72

Die Ästhetik drehte sich um. Die Natur des Künstlers sollte nicht länger ein Werkzeug der Wirklichkeit sein, um ihr Ebenbild zu vollbringen; sondern umgekehrt die Wirklichkeit wurde jetzt wieder der Stoff des Künstlers, um seine Natur zu verkünden, in deutlichen und wirksamen Symbolen.73

70 Hugo von Hofmannsthal (1982): Gabriele d´Annunzio. In: Wunberg (Hrsg.): Die Wiener Moderne, S.

340–343, hier 341.

71 Hermann Bahr (1982): Die Moderne. In: Wunberg (Hrsg.): Die Wiener Moderne, S. 189–190, hier S.

190.

72 Ebd.

73 Hermann Bahr (1962): Die Überwindung des Naturalismus. In: Erich Ruprecht (Hrsg.): Literarische Manifeste des Naturalismus 1880–1892. Stuttgart: Metzlersche Verlagsbuchhandlung, S. 249–255, hier S. 250.

(20)

3 BEGRIFFSERKLÄRUNG

Eines der Ziele dieser Arbeit ist die Auffassung von Ehre bei den jeweiligen Protagonisten aus den gewählten Dramen. Es ist deswegen sinnvoll zunächst den Begriff der Ehre bzw. der Würde zu definieren bzw. zu klären.

Die Bedeutungen der Begriffe Ehre und Würde scheinen auf den ersten Blick einander zu ähneln, jedoch besteht zwischen ihnen ein bedeutender Unterschied:

Ehre, die

1. a) Ansehen aufgrund oder vorausgesetzten (besonders sittlichen) Wertes;

Wertschätzung durch andere Menschen74

Würde, die

1. a) Achtung gebietender Wert, der einem Menschen innewohnt, und die ihm deswegen zukommende Bedeutung75

Der Begriff Ehre ist also neben der Verhaltensweise des Individuums von der Gesellschaft, bzw. der Umgebung dieses Menschen abhängig. Es handelt sich um das, was die Umgebung über die betreffende Person denkt, bzw. wie sie sie bewertet.

Mit dem Begriff Würde ist aber das innerliche Selbstwertgefühl, also etwas was von nichts als der betreffenden Person abhängig ist, gedacht. Eine Person kann somit in bestimmten Situationen so reagieren, dass sie ihre eigene Würde beachtet, oder nicht.

Es wird im Folgenden der Versuch unternommen, auf die beiden Begriffe in verschiedenen Lebenssituationen der Akteure in den ausgewählten Dramen einzugehen und sie zu analysieren. Besonders in ehelichen und außerehelichen Beziehungen von verschiedenen Ständen soll sich zeigen, ob die Protagonisten gesellschaftliche Normen beachten und inwiefern ihre Ehre auf ihre Würde und umgekehrt ihre Würde auf ihre Ehre einwirkt.

74 Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/Ehre (Zugriffsdatum: 17.3.2021).

75 Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/Wuerde (Zugriffsdatum: 17.3.2021).

(21)

4 AUTOREN

4.1 Hermann Sudermann

Der erste von den drei Autoren, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, ist Hermann Sudermann. Er stellt mit Sodoms Ende das naturalistische Drama und somit eine der drei Epochen dar, die zusammen mit familiären, politischen, kulturellen und anderen Faktoren zeigen werden, inwiefern und auf welche Art sich die Autoren und folglich verschiedene Epochen in bestimmten Aspekten voneinander differenzieren.

Sudermann wurde 1857 als Sohn eines westdeutschen Mennoniten und einer Ostpreußerin geboren und wurde in Heydekrug, im heutigen Litauen, aufgebracht.76 Obwohl Sudermanns Familie nicht zu den allerärmsten zählte, war ihre wirtschaftliche Situation nicht gut. Sie waren Besitzer einer Bierbrauerei, deren Lage wegen der steigenden Technisierung immer schlechter wurde.77 Seine Ausbildung, die von seinen Eltern und Verwandten finanziert wurde, begann Sudermann in einer Privatschule, wo sich schnell sein Interesse an Politik und seine politische Orientierung als Liberaler zeigten. Später besuchte er eine Realschule in Elbing und wurde in der dortigen Kirche konfirmiert. Die Apothekerlehre brach er mit Erleichterung ab, um seine Ausbildung am Gymnasium in Tilsit fortzusetzen. Die Religion stand ihm relativ nahe, was sich auch in seinem Reifezeugnis zeigt, wo er das Fach mit der Note “gut” abschloss und wo ebenso sein sittliches Verhalten mit der Note “gut” abgeschlossen wurde. Nach dem Gymnasium besuchte er die Universität Königsberg zum “Studium der neueren Sprachen”. Zwei Jahre später setzte er sein Studium in Berlin mit der provenzalischen Literatur, Altfranzösisch und der neueren deutschen Literaturgeschichte fort. Noch im selben Jahr kehrte er zurück nach Heydekrug, weil er mit seinem ersten Drama, das er an das Residenztheater in Berlin geschickt hatte, keinen Erfolg erzielte. Ein Jahr später kehrte er nach Berlin zurück und arbeitete als Hauslehrer. Er besuchte öfters Reichstagsdebatten, was letztlich dazu führte, dass er Redakteur der Wochenschrift Deutsches Reichstagsblatt wurde.78

Auf seinen journalistisch-politischen Anfängen baute Sudermann, trotz der Tatsache, dass das Politische nicht sein primäres Interesse war, sein weiteres

76 Vgl. Arno Panzer (1980): Hermann Sudermann. Eine politische Biographie. In: Walter T. Rix (Hrsg.):

Hermann Sudermann. Werk und Wirkung. Würzburg: Königshausen + Neumann, S. 9–30, hier S. 9.

77 Vgl. ebd.

78 Vgl. ebd., S. 9–12.

(22)

künstlerisches Schaffen. Somit wurde er 1889 mit seinem Drama Ehre sowohl berühmt als auch wirtschaftlich unabhängig.79 Darauf folgten weitere Arbeiten, wie Sodoms Ende, Der Katzenstieg, usw. Obwohl er von Kritikern und Autoren oft angegriffen und kritisiert wurde, blieb er ambitiös und legte sein Schaffen als Autor nicht beiseite: „So sehr Sudermann unter der hämischen Kritik gelitten hat, so wenig konnte sie doch seine vornehme, hilfsbereite menschliche Haltung bis zum Schluß ändern.“80

Wie erwähnt, lebte Sudermann anfangs kein idyllisches Leben. Bis er mit seinen Texten Erfolg erzielte, sah es finanziell für ihn schlecht aus. Als sich dies änderte, fing er an, sich mit der Gesellschaft der Reichen zu beschäftigen, besonders mit Wollust und Überfluss.81 Dies scheint eine gewisse Distanz zur oberen Schicht bei ihm bewirkt zu haben. Obwohl Sudermann in der Theorie nicht als größter Naturalist angesehen wird, enthalten seine Texte naturalistische Merkmale, die besonders mit Sodoms Ende die Realität des Großbürgertums schildern. Weil aber die Mehrheit des damaligen Publikums genau diese Schicht darstellt, führt dieses Stück nicht zum solchen Erfolg wie z. B. das Drama Die Ehre. 82 Für Sudermanns Gesellschaftsdramen ist kennzeichnend, dass sie Familie (kleinbürgerliche Gesellschaft) oder die Welt (Großbourgeoisie) erfassen, manchmal auch beides (Sodoms Ende).83 Sudermann war kein Extremist, auch scheint er gegenüber anderen ein bescheidener Autor zu sein, jedoch ist ihm seine Würde bedeutend: „Es ist kennzeichnend für Sudermann, daß er zwar zu Anpassung und praktischer Mithilfe bereit und fähig war, nicht jedoch zur politischen Selbstverleugnung.“84

Obwohl Sudermann politisch als liberal bezeichnet werden kann, waren seine Denkmuster oft konservativer Art. Er war weltoffen, tolerant und konstruktiv, jedoch respektierte er den Staat und seine Ordnung.85

Er vertrat somit teilweise die gesellschaftlichen und religiösen Normen seiner Zeit, aber stellte sich zumindest im Drama Sodoms Ende auf die Seite des Kleinbürgers

79 Vgl. ebd., S. 15.

80 Ebd., S. 28.

81 Vgl. Werner Schienemann (1980): Mensch und Landschaft im Werk Hermann Sudermanns. In: Walter T. Rix (Hrsg.): Hermann Sudermann. Werk und Wirkung. Würzburg: Königshausen + Neumann, S. 215–

232, hier S. 215, 216.

82 Vgl. Jean Paul Mathieu Mannens (1980): Sudermanns Verhältnis zu den literarischen Strömungen der Jahrhundertwende. In: Walter T. Rix (Hrsg.): Hermann Sudermann. Werk und Wirkung. Königshausen + Neumann, S. 175–188, hier S. 182.

83 Vgl. Jürgen Viering (1980): „Für Idyllen war kein Platz in meinem Leben“. Zur Familienthematik in Sudermanns Gesellschaftsdramen. Würzburg: Königshausen + Neumann, S. 113–134, hier S. 119.

84 Arno Panzer (1980): Hermann Sudermann, S. 26.

85 Vgl. ebd., S. 22.

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bzw. Proletariers. Die Sexualität und menschliche Triebe, besonders die Sünde, sah er als unausweichlich. Somit wird bei ihm die weibliche Figur sowohl als Mutter und treue Hausfrau als auch als eine wilde Sündhafte dargestellt.86 Trotz der Tatsache, dass Sudermann klar das Gute vom Schlechten abgrenzte und ihm die Religion nahe stand, konnte er sich mit dem konservativen Blick auf die Ehe nicht anfreuden und er strebte in der Ehe nach einer gewissen Freiheit.87

4.2 Frank Wedekind

Wedekind wurde als Sohn einer Opernsängerin und eines Arztes 1864 in Hannover geboren. Es wurde ihm eine Privatschule finanziert und nach dem Gymnasium sollte er nach dem Willen seines Vaters – und gegen seinen eigenen – Jura studieren. Sie hatten folglich eine Auseinandersetzung, weswegen Wedekind, nachdem die Familie 1886 nach Zürich umzog, finanziell keine Unterstützung mehr erhielt. Er arbeitete als Vorsteher eines Werbe- und Pressebüros und schrieb nebenbei für verschiedene Schweizer Blätter. Sein großes Ziel, Schriftsteller zu werden, konnte somit trotz der finanziellen Hilfe seiner Mutter nicht erfüllt werden und Wedekind musste sich, um schriftstellerisch tätig zu bleiben, mit seinem Vater versöhnen. Dieser verlangte von ihm, dass er das Jurastudium vollendet. Kurz danach starb sein Vater und hinterließ ihm ein Erbe, dass ihn finanziell unabhängig machte und weswegen er mit dem Schreiben ungehindert fortsetzen konnte. Er lernte schnell aktuelle naturalistische Autoren kennen und war im Kreis „Das junge Deutschland“ mit dabei, wo er u. a.

Hauptmann, der jedoch andere Meinungen als Wedekind vertrat, kennen lernte.88 Wedekind entwickelte eine vollkommen eigene Art des Schreibens, indem er niedere und hohe Kunst entgegensetzte und miteinander verknüpfte.89 Ebenso war er an der Natur des Menschen interessiert, weswegen er sich mit bestimmten anderen Denkern dieser Zeit ergänzte: „Nietzsche und schließlich Freud wurden zu Bezugspunkten in Wedekinds philosophischem Koordinatensystem.“ 90 Seinen Schreibstil musste er, um in der Literaturwelt zu überleben, dieser auch anpassen, so

86 Vgl. Viering (1980), „Für Idyllen war kein Platz in meinem Leben“, S. 119.

87 Vgl. Schienemann (1980), Mensch und Landschaft im Werk Hermann Sudermanns, S. 225.

88 Vgl. Hartmut Vinçon (1987): Frank Wedekind. Stuttgart: Metzler, S. 27–37.

89 Vgl. ebd., S. 60.

90 Ebd., S. 61.

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passte er z. B. die Tragödie „Erdgeist“ dem Theater an.91 Ein größeres Lesepublikum erreichte er durch seine Mitarbeit an der Wochenschrift Simplizissimus.92

Trotz Zensur und der Angriffe der Rechtspresse hatte sich jedoch bis zum Ausbruch des im In- wie im Ausland die Auffassung durchgesetzt, dass Wedekind [...] sowohl zum wichtigsten als auch umstrittensten Theaterautor seiner Epoche geworden war.93

Doch gerade die Zensur war es, die Wedekinds Publizieren einige Zeit lang bremste, doch: „Die Abschaffung der Theaterzensur in Deutschland hatte zur Folge, dass Wedekind wieder zu einem der meistgespielten Theaterautoren der Nachkriegszeit wurde.“94

Wedekind war gesellschaftskritisch, er wollte der Welt zeigen, wie verfehlt manche damals selbstverständlichen und alltäglichen Ideen in der Gesellschaft sind.

Hans Kempner stellt den folgenden Aspekt Wedekinds dar: „Es ist ja alles so komisch was ihr da treibt, ihr närrischen Menschen mit eurem Staat, euren Gesetzen, eurer Gesellschaft!“95

Wedekind kritisiert mit seinen Dramen nicht nur scharf die Gesellschaft und den Staat, sondern auch den Menschen und seine Entscheidungen als Individuum:

Von allen Dichtern seiner Zeit trennt ihn der Vorzug, dass er die Menschen nackt sieht.

Er entkleidet die Seelen auch ihrer letzten Hüllen, die sie sich betrügerisch umgehangen haben, des buntschillernden Mäntelchens „Kultur“ und der andern und zeigt uns mit höhnischen Grinsen was übrig bleibt.96

Einer von seinen wichtigsten Bezugspunkten sind menschliche Triebe:

[...], so sehr sind sie unbewußt in ihre Triebe verstrickt, die sie mit dem Deckmantel von Ethik, Moral, bürgerlichem Anstand, höherem Menschentum, christlicher Liebe und sonst was bedecken. Das alles halten sie für ihr wahres Wesen.97

91 Vgl. ebd., S. 67.

92 Vgl. ebd., S. 104.

93 Ebd., S. 104.

94 Ebd., S. 118.

95 Hans Kempner (1911): Frank Wedekind. Als Mensch und Künstler. Berlin: Oskar Linser, S. 14.

96 Ebd., S. 24.

97 Ebd., S. 25.

(25)

Er nimmt in seinen Arbeiten das einfachste Folk, auch Außenseiter wie Dirnen, und versucht mit ihnen das menschliche Wesen hervorzuheben. Diese Menschen sind für Wedekind deswegen interessant, weil sie: „[...] sich nicht mit all dem unnützen Pack belastet haben wie andere, mit Kultur, Religion, Gesetz, Moral, Familie, Sitte [...].“98

4.3 Arthur Schnitzler

Arthur Schnitzler wurde am 15. Mai 1862 in Wien geboren. Er sollte eigentlich als Sohn eines der erfolgreichsten Kehlkopfspezialisten den aus Südwestungarn stammenden Johann Schnitzler die Laufbahn seines Vaters verfolgen, aber er scheint nicht nur erfolgreicher, sondern auch mehr an der Dichtung interessiert, als am Gebiet der Medizin. Dennoch macht er sein Studium fertig, wird Arzt und widmet sich dem Gebiet der Hautkrankheiten und Syphilis.99

Nach dem Tod des Vaters fängt Schnitzler an, sich mehr mit der Kunst zu befassen: „Aber von seelischer Erlösung aus dem Bannkreis der Vatergestalt kann keine Rede sein.“100 Der Vater stellt für ihn zwar eine Leitfigur dar, jedoch hat er zu ihm kein so positives Verhältnis wie zu seiner Mutter. Sie ist zwar, seiner Meinung nach, eine Gestalt, die sich voll und ganz dem Ehemann angepasst hat und ihm in dem Sinne untergeordnet ist, jedoch steht sie ihm sehr nahe.101

Die Religion ist in der Familie zwar vorhanden, aber doch eher als eine Gewohnheit: „Daß von den religiösen Traditionen wenig mehr geblieben war, als das eher äußerliche Festhalten an einzelnen rituellen Überlieferungen war ebenfalls nicht untypisch.“102

Arthur Schnitzler wird oft in Zusammenhang mit dem Namen Sigmund Freud und seiner Psychoanalyse betrachtet. Jedoch ist Freud für Schnitzler nicht derart inspirativ, als dass er ihm in seiner Denkweise ähnelt. Sie wissen zwar voneinander und respektieren sich, sind schriftlich auch in Kontakt, doch manche Ansichten teilen sie

98 Ebd., S. 30.

99 Vgl. Ulrich Weinzierl (1994): Arthur Schnitzler. Lieben Träumen Sterben. Frankfurt am Main: S.

Fischer, S. 19–22.

100 Ebd., S. 24.

101 Vgl. ebd., S 30.

102 Hartmut Scheible (1976): Arthur Schnitzler. in Selbstzeugnissen und Dokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, S. 11.

(26)

nicht. So schreibt Schnitzler in Bezug auf Freuds Arbeit: „Psychoanalyse gab es immer;

jeder Arzt, jeder Dichter, jeder Staatsmann, jeder Menschenkenner mußte es sein, war es unbewußt oder automatisch.“103 Schnitzler hatte also seine psychoanalytische Weltanschauung nicht von Freud, sondern wahrscheinlich im größten Teil von seinem Beruf als Arzt erworben:

Es war nicht nur ein Dichter, sondern ebenso wie er [Freud] ein Psychologe, der die Entdeckungen der Psychoanalyse zugleich mit ihm gemacht – und sie manchmal sogar vorweggenommen hatte.104

Sie respektierten sich gegenseitig, Schnitzler Freud als Sprachkünstler und Freud Schnitzler als psychologischen Tiefenforscher.105 Ihre Ähnlichkeit zeigt sich in der Themenwahl Schnitzlers. Durch einen Brief, den Freud an Schnitzler schrieb, wird sichtbar, wie sehr beide an der Triebnatur des Menschen interessiert waren:

Ihr Determinismus wie ihre Skepsis – was die Leute Pessimismus heißen –, Ihr Ergriffensein von den Wahrheiten des Unbewussten, von der Triebnatur des Menschen, ihre Zersetzung der kulturell-konventionellen Sicherheiten, das Haften Ihrer Gedanken an der Polarität von Lieben und Sterben, das alles berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit.106

Als liberaler Bürger jüdischer Herkunft wendet sich Schnitzler neben den Träumen und dem Tod der Liebe zu.107 Sein Liebesleben manifestiert sich öfters in seiner literarischen Arbeit. Er hat viele Liebhaberinnen, die er gerne abwechselt. Jedoch ist er öfters eifersüchtig und hat ein Problem mit der Tatsache, dass eine Frau vor oder nach einer Beziehung mit ihm mit anderen Männern verkehrte: „Wie wohl er in Mizi Glümer vernarrt ist, kann er sie nicht heiraten – weil sie vor ihm „die Geliebte eines andern war.“108

103 Arthur Schnitzler (1976): Über Psychoanalyse. In: Protokolle, H. 2, S. 277–284, hier S. 280, zit. nach Weinzierl (1994): Arthur Schnitzler. Lieben Träumen Sterben. Frankfurt am Main: S. Fischer, S. 87.

104 Frederick J. Beharriell (1967): Schnitzler: Freuds Doppelgänger. In: Literatur und Kritik, Bd. 2, zit.

nach Weinzierl (1994): Arthur Schnitzler, S. 80.

105 Vgl. ebd., S. 71.

106 Sigmund Freud (1960): Briefe 1873–1939. Hrsg. von Ernst L. Freud und Lucie Freud. Frankfurt: S.

Fischer Verlag, S. 249.

107 Vgl. Weinzierl (1994): Arthur Schnitzler, S. 10.

108 Ebd., S. 151.

(27)

Er wird jedoch von Frauen leicht wieder gelangweilt und fühlt sich folglich eingemauert: „Je verzweifelter sich Jeanette (eine seiner Geliebten) an Arthur klammert, desto verzehrender wird sein Verlangen nach Freiheit.“109 Er hat mehrere Geliebten, wie z.B. Janette Heeger, Marie Glümer, Adele Sandrock, Marie Reinhard, Olga Gussman, ... Die letzte wird auch seine Frau und nach ihr scheint er sich für Seitensprünge nicht mehr zu interessieren.110

Von Olga lässt er sich 1921 scheiden, doch sein Liebesleben ist damit nicht zu Ende. Er wird danach nicht minder an der Liebe interessiert: „Er frommte [...] nach einer ,Praxis‘, die ihn gelehrt hatte, die Zusammenhänge zwischen der allgemeinen Triebnatur des Menschen [...] und seiner individuellen Veranlagung zu beachten.“111

109 Ebd., S. 148.

110 Vgl. ebd., S. 171.

111 Nike Wagner (1982): Geist und Geschlecht. Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne.

Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 137.

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5 AUSGEWÄHLTE DRAMEN

5.1 Sodoms Ende 5.1.1 Handlung

Die 1881 veröffentlichte Tragödie von Hermann Sudermann ist eine Widerspiegelung der Berliner Gesellschaft und deutet vor allem auf die Divergenz von sozialen Ständen in der Zeit des Naturalismus hin.

Die Szenerien werden in verschiedene Interieure, die immer detailliert beschrieben werden, gestellt. Das Drama fängt im Salon Barzinowskis an, wo Sodoms Ende, das Bild des Malers Willy Janikow, hängt, und wo gerade eine Tanzprobe stattfindet. Im Salon vor dem Tanzsaal lernen wir den Schriftsteller Weiße und den ankommenden Professor Riemann kennen. Dieser ist auf der Suche nach Willy, seinem alten Kollegen aus der Akademie. Von Weiße, der über Riemanns Bilder schlechte Kritiken schreibt, erfährt er, Willy sei genau hier, d. h. bei den Barzinowskis, zu finden.

Weiße zeigt Riemann auch das berühmte Bild „Sodoms Ende“, das von Willy gemacht wurde. Riemann ist über dieses entsetzt. Als Leser erfährt man, dass es sich im Hause bei Barzinowskis um eine sehr reiche Familie handelt, wo man keine Umstände macht.

Man erfährt auch schnell, dass Herr Barzinowski nicht viel zu Hause ist und eigentlich nur finanziell die Familie unterstützt. Weiße, der eine tiefere Bekanntschaft zwischen Riemann und Barzinowski verhindert, beschreibt Barzinowski als einen Mann, der seiner Frau nicht treu ist und öfters mit Dirnen verkehrt. Adah hingegen beschreibt er leidenschaftlich, als ob er sie fast vergöttern würde. Adahs Nichte Kitty kommt dann, bezeichnet Weiße als unverschämt und erläutert Riemann, man sage hier alles ohne zu zögern. Aus dem Gespräch wird auch sichtbar, dass Kitty auf Adah eifersüchtig ist, weil diese öfters mit Willy verkehrt. Willy findet an Kitty kein großes Interesse und nimmt sie, wie der Rest der Umgebung, nicht ernst. Ebenso erfahren wir, dass Kitty vom Lande in die bürgerliche Gesellschaft umgezogen ist und sich dieser Umgebung nicht angemessen zu benehmen scheint. Sie sagt, was sie sieht und obwohl es die Wahrheit ist, betrachtet man ihre Worte und folglich die Wahrheit als einen Witz.

Riemann lernt später Adah kennen und zusammen mit Weiße diskutieren sie über die Vergeistigung der menschlichen Triebe. Riemann äußert seine Meinung darüber. Diese ist nicht gerade übereinstimmend mit der der Menschen, die ihn im Moment umgeben.

Er meint eine Frau und ein Mann, die sich treu sind, sind das Höchste, was es in einer

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Beziehung geben kann. Der ebenso anwesenden Kitty scheint es irgendwie unangenehm zu sein, wenn Riemann darüber redet. Zwei Akteure, die Riemanns Logik widersprechen, sind Adah und Willy. Sie haben eine geheime Beziehung, über die die Gesellschaft zu ahnen scheint. Wir erfahren auch, dass Adah Willys neues Atelier einrichtet und ihm dafür einen Kredit ermöglicht. Willy kommt letztendlich zur Tanzprobe. Riemann erzählt ihm über sein scheinbar anständiges und schönes Familienleben, das das genaue Gegenteil von Willys ist. Jedoch kann man aus dem Gespräch herauslesen, dass Riemann nicht gerade absichtlich seine Familie so gestaltet hat. Ebenso scheint er auch bei seiner Arbeit im Gegenteil von Willy mit Durchschnittlichem zufrieden zu sein. Sie erinnern sich voll Freude an alte Zeiten, als sie als Kollegen zusammen an die Akademie gingen, wobei Riemann bei Erinnerungen an Mädchen das Thema wechselt. Beauftragt von Adah kommt Kitty Willy abholen, der sie abweist und mit Riemann weiter redet. Zwischen den beiden fängt die Spannung zu steigen an. Willy meint alle Menschen seien Bestien nur mit mehr oder weniger getiegertem Fell. Er erzählt ihm danach auch über sein Verhältnis mit Frauen, besonders über das mit Adah. Ebenso erzählt er über ein Angstgefühl, das bei ihm, Adah und manchen anderen vorhanden ist.

In der Gesellschaft auf der Tanzprobe macht man sich indirekt über die Liebesbeziehung von Willy und Adah lustig. Willy redet mit ihr darüber und will deswegen das Liebesverhältnis mit ihr beenden. Mit Argumenten, die die anderen Menschen Adah und Willy gegenüber seelisch arm machen, überredet sie ihn, das nicht zu tun. Sie will auch Willy mit einer Frau verheiraten um für ihn das künstlich erschaffene Glück, das die Gesellschaft von ihm fordert, zu finden und damit sie als Resultat weiterhin mit ihm in Kontakt bleiben kann. Sie findet schnell heraus, dass Kitty Willy bewundert, deswegen scheint sie für Adah das perfekte Opfer zu sein.

Der nächste Akt findet im Hause Janikows statt. Riemann ist dort zu Besuch und redet mit Frau Janikow über Willy, der sich ihrer Meinung nach wegen des Ruhms verändert hat. Sie findet auch ständig Briefe von Willys Liebhaberinnen, die sie anwidern. Zum Gespräch kommt noch das schüchterne Waisenkind Klärchen, das Riemann bereits kennt. Wir erfahren, dass Riemann ihr einmal einen weißen Hund schenkte, der ihr weglief, weil er von jemandem stark geprügelt wurde. Von Frau Janikow erfährt man, dass Klärchen zwar Willy vergöttert, jedoch scheint sich eher zwischen Kramer und Klärchen eine Beziehung zu entwickeln. Frau Janikow bittet Riemann, dass er mit Willy redet und ihn zurück auf den „richtigen“ Weg bringt. Später

(30)

kommt Willy nach Hause und redet mit Kramer. Er fühlt sich Kramer gegenüber schuldig, weil dieser ihm finanziell immer zur Verfügung stand, wenn das nötig war.

Weil er weiß, dass Krammer Klärchen liebt, entscheidet er sich, ihm dabei zu helfen, sich mit ihr zu verloben, und fragt sie in seinem Namen nach ihrer Hand. Indem er das tut, kann man spüren, dass eigentlich Klärchen und Willy Gefühle für einander empfinden. Diese sind für sie angeblich verboten, weil sie – obwohl sie nicht biologische Geschwister sind – auf dieselbe Weise trätiert werden, als wenn sie das wären. Klärchen ist nicht begeistert von dem Antrag, erwidert aber, sie wolle Kramer Hoffnung machen.

Im dritten Akt kommt Riemann Willy besuchen, um mit ihm zu reden. Willy ist gerade beim Bewundern des Anblicks durchs Fenster. Er fragt sich, wer all das, was er beim Anblick empfindet, malen könnte. Riemann gibt ihm eine sehr oberflächliche Antwort und meint, Willy soll das Ganze einfach malen. Sie geraten in ein Gespräch, worin Riemann versucht Willy zu überzeugen, sein Leben umzugestalten und sich eine unverheiratete Frau zu suchen, damit er wieder glücklich wird. Nachdem Riemann geht, haben Willy und Klärchen wieder einen Moment, in dem man Liebe spüren kann.

Dieser Moment wird von Adahs Besuch unterbrochen. Sie kommt mit Kitty, die sie für Willy als Braut anbieten will. Willy hingegen, entschloss sich sein Leben zu ändern, will Adahs Antrag zurückweisen und fleht sie an, Kitty nicht seinen Eltern als Braut anzubieten. Adah schafft es durch ihre soziale Kraft bzw. durch die Tatsache, dass Willys neues Atelier fertig ist, die Meinungsänderung Willys zu erzwingen. Willy entscheidet sich, ihr zu gehorchen und gibt damit sein Glück her, will jedoch sein Schaffen als Künstler zurück. Auf einmal kommt Frau Janikow nach Hause und Willy flieht durch das Fenster, um nicht mit Adah gesehen zu werden. Adah und Frau Janikow lernen sich kennen und Adah bietet ihre Nichte Kitty als Braut für Willy an. Frau Janikow ist erst froh darüber, erinnert sich jedoch schnell an Willys Briefe und erzählt Adah über diese. Adah scheint sich darum nicht viel zu kümmern und fängt an, eine schriftliche Einladung zu ihrem Fest für Herrn Janikow zu schreiben. Frau Janikow erkennt die Handschrift, die mit einem von Willys Briefen übereinstimmt. Sie fragt Adah, ob es ihre sind. Adah bejaht und bricht zusammen. Sie begründet ihre Taten mit allem, was in ihrem Leben vor sich geht. Wir erfahren, dass ihr Mann sie verlassen hat und sich mit Dirnen herumtreibt und sie, die auf der Suche nach dem, was das

„Natürliche“ von ihr verlangt, auf Willy gestoßen ist. Folgend will Adah, dass das Ganze ein Geheimnis bleibt und fleht Frau Janikow an, darüber nichts zu sagen. Frau

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