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Celotno besedilo

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ZUR HEIMLICHEN RISIKOSELEKTION DER NEUEN SOZIALEN BEWEGUNGEN

A lle W elt geht w ie selbstverständlich davon aus, daß die neuen sozialen Bewegungen (nsB) intentional ganz bestim m te politische Ziele verfolgen. Ich werde im folgenden zu zeigen versuchen, daß sow oh l die Intentionalität als auch die Ziele — zumindest des explizit politisch orientierten Teils der nsB — Nebenprodukt einer tiefer liegenden Problem lösung sind. Es handelt sich um das Problem , in einer funkional differenzierten, m it einer sich im m er rascher heterogenisierenden Sozialstruktur ausgestatteten Gesellschaft, noch kollektiv verbindlich Lebenschancen kom m unizieren zu können. Dieses P roblem muß jede soziale Bewegung lösen — einfach, um ihre kollektive H andlungsfähigkeit durch ein geteiltes W eltbild stützen zu können. D ie Schw ierigkeit, dieses Problem lösen zu können, dokumentiert nur das G eneralrisiko der individuellen Lebensführung in m odernen Gesellschaften. V o r diesem H intergrund w ird die Risikoselektion der nsB zur verheim lichten M etapher fü r die N icht-K om m uni- kabilität kollektiver Lebenschancen.

Angem erkt sei noch, daß ich im folgenden nur die Teile der nsB them a­

tisiere, die sich mit technisch-ökologischen Risiken auseinandersetzen (Anti- Kernkraft-, Ökologie- und Friedensbewegung).

I. Lebenschancen

Was sind Lebenschancen? Der B egriff, so kom pakt w ie er ist, deutet auf mehrere Problem dim ensionen hin, die m it seiner H ilfe näher zu bestim men sind. Zum einen geht es sicherlich um Identität — durch soziale Zugehörigkeit etwa. Des weiteren spielen Zukunftserwartungen eine Rolle — im H inblick auf möglichst selbstgewählte A rb eitsform en v o r allem. Und schließlich (der Katalog ist sicherlich verkürzt) geht es um — fü r die ,neue Mittelklasse*

besonders wichtige — Kriterien der Selbstentfaltung — im H inblick auf den Lebensstil, den zu wählen man geneigt ist.

Nach allem, was (nicht nur unter Soziologen) darüber gesagt w orden ist, ist als mindestes festzuhalten: Keines dieser drei M erkm ale von Lebenschancen ist — entgegen den Verkündern der postm odernen Gesellschaft — durch so­

ziale Konventionen (geschweige denn: Institutionen) gedeckt. E inerseits: W elche

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sozialen Zugehörigkeiten (M ilieu/Schicht) identitätsstiftend wirken, hängt heute w eitgehend von w ohlfahrtsstaatlich ermöglichten Mobilitätszwängen ab. Welche selbstgewählten A rbeitsform en (vom sog. inform ellen Sektor einmal abge­

sehen) heute n och m öglich sind, hängt größtenteils von den noch verbleibenden Lücken eines schrum pfenden Arbeitsm arktes ab. Und dem Wunsch nach einem selbstgewählten Lebensstil setzen nicht nur die zwei bereits genannten .Fak­

toren “ Grenzen, sondern vo r allem der industrielle M odernisierungsdruck (AK W s, Startbahnen, ,Entsorgungsparks“, Hightech-Dorados, Teststrecken, Rü­

stungspools, Stadtautobahnen, u .a .m .: Stryk /Wiesenthal 1987). In allen drei Hinsichten sieht sich der Einzelne von Zwängen umstellt, die den Begriff ,Lebenschancen“ in ein eigentümliches Zwielicht rücken.

A n d ererseits: M it der A uflösung kollektiver Zugehörigkeiten wächst die Chance, .jenseits von Klasse und Schicht“ (Beck 1986) zu leben. Soziale Zuge­

hörigkeiten w erden als w ählbar erlebt. Gleichzeitig scheinen sozialstaatliche Absicherungen und ein weiterhin expandierender W eiterbildungssektor die W ählbarkeit von A rbeitsform en zu ermöglichen. Und schließlich wachsen mit der Erosion traditioneller Sozialgefüge (Familie!) die Form en wählbarer Le­

bensstile.

A u f der einen Seite Zwänge, auf der anderen Kontingenz. W ie paßt das zusam m en? A u f den ersten Blick gar nicht. Ebensowenig w ie die theoretischen Ansätze, die sich auf diese zwei Seiten doch wohl einer Medaille projizieren lassen.

V on R alf D ahrendorf stammt ein Konzept von ,Lebenschancen“ (1979), welches diese in Optionen und Ligaturen zerlegt. Unter modernen Bedingungen unterliegen die letzteren einer Tendenz zur Erosion — Optionen dagegen einer Tendenz zum W achstum ohne soziokulturelle ,Einbindung“ (S. 66). Gerade der Zerfall von Ligaturen (Geschichte, Heimat, Familie) ist es ja, der die V er­

mehrung von W ahlm öglichkeiten in eine ,leere Modernität“ entläßt.

Dieser Position stehen Ansätze gegenüber, die die Einschränkung indivi­

dueller W ahlm öglichkeiten durch M odem isierungsprozesse mit weitreichenden und einschneidenden sozialen Folgen (von der Kernenergie über Kommuni­

kationstechnologien bis hin zur Lebensmittelchemie) hervorheben. James Cole­

man etwa (1986) spitzt diese Tendenz auf eine zunehmende Betroffenheit von den Entscheidungen korporativer Akteure zu, denen die individuellen Akteure in den allermeisten Fällen nichts entgegenzusetzen haben. Wiederum auf den ersten Blick schließen sich solche Theoriekonzepte wechselseitig aus. Anderer­

seits verarbeiten beide Evidenzen, die schlechterdings nicht wegzuleugnen sind.

A lso fehlt ein drittes Konzept, mit dem sich die aufgetretene Unverein­

barkeit vielleicht beseitigen läßt.

II. Risikouniversalism us

Diese dritte K onzept soll hier mit dem B egriff des Risikos und (in der Folge) m it dem des ,Risikouniversalism us“ gekennzeichnet werden.

W enn Risiko auf die Ungewißheit der Folgen einer Entscheidung bezogen w ird (Luhmann 1986), dann lassen sich die modernisierungsbedingten con­

straints (z. B. der Bau einer Stadtautobahn) als Ungewißheitsquelle für indivi­

duelle Entscheidungen (der W ohnortwahl z. B.) begreifen. Wahlmöglichkeiten w erden dadurch nicht etwa annulliert, sondern das in sie eingebaute Risiko 3»

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markiert. Die moralisch-sittlich entkoppelten D urch- und Eingriffsm öglichkeiten moderner Rationalisierungsprozesse (Habermas 1981, 2. Bd.) und die zumindest einer starken Tendenz zu solcher Entkoppelung unterliegenden W ahlm öglich­

keiten der Individuen (Dahrendorf: Ligaturen!) können dann im Konzept des Risikos aufeinander bezogen werden.

B evor das hier weiter ausgeführt wird, soll noch kurz auf eine m ögliche Weiterung der Risikokonzeption aufm erksam gem acht w erden, die dann aller­

dings nicht weiterverfolgt wird. Unter dem Gesichtspunkt der K ontingenz allen Entscheidens wird jede Entscheidung allein schon dadurch zum Risiko, daß sie eine Alternative fixiert. Die U ngewißheit, ob andere A lternativen nicht vorzuziehen gewesen wären, wird gerade durch die A ktualisierung ein er be­

stimmten Alternative manifest. Das käm e einer U niversalisierung der K onzep­

tion von Dahrendorf gleich, derzufolge eben alles individuelle Entscheiden einen offenen, quasi-unabschließbaren H orizont dann ausgeschlossener A lterna­

tiven geradezu konturiert — und so zum Risiko w ird. Diese A rgum entations­

form leitet in anomietheoretische Fragestellung über (Dahrendorf, ibid.), die hier zugunsten eher technisch-m odernisierungsbedingten Entscheidungsrisiken nicht w eiter verfolgt werden sollen (vgl. Japp 1986). Der dam it gem einte Risi­

kotyp läßt sich vielleicht am besten in der A nw endung der D ifferen z von Risiko und Gefahr (Luhmann 1986) auf technisch-ökologische M odernisierungsrisiken (Beck 1986) erläutern. Zunächst einmal sollte deutlich sein, daß keine selbst­

gewählten Gefahren vom Risikotyp Rauchen gem eint sind, sondern Gefahren (.double standard“), die auf D rittbetroffene zukom m en — und zw ar auf dem Wege eines R isikooktroy korporativer A kteure (i. S. v. Coleman). Dieser Risiko­

typ ist Beck zufolge .universalistisch“. In zeitlicher Hinsicht neigt er zu Irre­

versibilitäten (Kernenergie), in sachlicher zu Interdependenz (W aldsterben und Autom obilism us und K ohlekraftwerke, usw.), in sozialer Hinsicht ist er inklusiv (Schadstoffe in Nahrungsmittelketten erreichen jeden). W enn das richtig ist, können die .korporativen Akteure“ Risiken nur noch verm eiden um den Preis eines anderen, und die .individuellen A kteure' können einer G efahr nur um den Preis des Risikos einer anderen G efahr entgehen. Etwa w ie jen e Großstadt- Amerikaner, die der Gefahr des offenen Straßenüberfalls entgehen, indem sie sich fü r den V orstadt-exit entscheiden, dort — natürlich ungew ollt — zur Spezialisierung auf Einbruchsdiebstähle beitragen, über erneute exits entschei­

den, auf diesem Wege verstärkt die Risiken der V erkehrssystem e zum und vom Arbeitsplatz eingehen usw., usw. (Boudon 1979).

Dieser universalistischen Tendenz der Risikostruktur m oderner Gesellschaf­

ten zu Irreversibilität, Interdependenz und Inklusivität sind viele M itglieder der ,risk assessment-community“ gefolgt, indem sie sich zunehmend von ratio­

nalistischen (cost-benefit-) B ewertungsverfahren distanziert und den M öglich­

keiten von ,risk-coping-abilities“ zugewandt haben (Clark 1980).

Diese Entwicklung soll hier gar nicht w eiter untersucht werden, sie soll nur eines deutlich machen: Risiken lassen sich nicht bündeln, aggregieren und sortieren wie z. B. Einkommensverteilungen in einzelnen Berufen, Branchen und Sektoren der Volkswirtschaft.

Wenn man dieser Argumentation folgen w ill, kom m t man zwangsläufig zu einem ernüchternden Befund, was das Thema individueller (und auch kollektiver) Lebenschancen anbelangt. W elche Optionen eher reduziert werden sollten (die auf agrikultureile Chem ie? die auf G entechnologie oder die auf Nahrungsmittelchemie oder vielleicht alle?) und w elche Ligaturen eher gestärkt

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w erden sollten (G roßfam ilien, Kleinfamilien, W ohngemeinschaften, Sportver­

eine?) — um den A ndeutungen Dahrendorfs zu folgen — , das kann nicht Gegenstand verallgem einerbarer Kollektivinteressen sein, sondern höchstens Gegenstand von partikularen Interessen, weil diese selektive Kriterien haben, w elche Risiken ihre ,Lebenschancen‘ erhöhen und welche nicht (vom Staat w ird in diesem Zusam m enhang abgesehen: es geht nur um soziale Bewegun­

gen).

Ebensowenig scheint es m öglich zu sein — Coleman folgend — in einem ra­

tionalen (verallgem einerbaren) Sinne darüber zu entscheiden, welche korpora­

tiven A k teu re es zurückzudrängen gilt: die chemiewirtschaftlichen Eliten?, die energiew irtschaftlichen?, molekulartechnologisch orientierte Wissenschaftseli­

ten? Die Spurensicherung in Risikokom plexen, die Irreversibilitäten, Interde­

pendenz und Inklusivität erzeugen, ist in vielen (vielleicht allzu vielen) Hin­

sichten arbiträr (was nicht heißt, daß sie nicht weitergeführt und verbessert w erden sollte).

Man kann diesen ganzen M ißhelligkeiten aus dem W ege gehen, indem man auf Einkom m enssicherung und Familie pocht — aber das mögen immer w eniger glauben, w enn neuerdings schon die — allerselbstverständlichste — Benutzung von Zahnpasta sich als Risiko fü r die Zähne herausstellt. Unter dem Druck universalistischer Risikostrukturen sind Lebenschancen nicht mehr über exk lu sive K onfliktorientierungen auf einzelne Systeme (,Industriekapitalis- m us‘), Funktionseliten, G roßtechnologien oder gar Produktgruppen verbesser­

bar. Trotz aller gebotenen W achsamkeit in diesen Hinsichten bliebe es dabei, daß die — typisch m oderne — W ählbarkeit von Optionen (und auch von Ligaturen) nicht von technisch-ökologischen (und deren sozialen) Folgerisiken loskom m t — es sei denn um den Preis des ,total- exit’s. A ber dieser birgt das Risiko, daß man dann bald gar nicht mehr wählen kann (z. B. in der Idylle eines kretischen B ergdorfes).

III. K o llek tiv e H andlungsfähigkeit

Man kann w oh l ohne Übertreibung sagen, daß alle sozialen Bewegungen, seien sie nun utopischer, revolutionärer, reformistischer oder gänzlich prag­

m atischer Couleur, sich die Verbesserung gesellschaftlicher, i. e. S. kollektiver Lebenschancen zum Ziel gesetzt haben bzw. es noch tun. Deutliche Beispiele dafür sind Forderungen nach gesellschaftlicher Kontrolle der Produktionsmittel (A rbeiterbew egung) oder der K am pf um Rechtsgleicheit durch Bürgerrechts­

bew egungen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um den Versuch, Z u griff auf system spezifisch abgrenzbare Optionen (z. B. ökonomische K ontroll­

rechte, politische W ahlrechte, etc.) für in dieser Hinsicht benachteiligte K ollek­

tive zu erlangen. Eine solche auf kollektive Lebenschancen bezogene Programm ­ form el ist nun nicht ,an und fü r sich' wünschenswert und nützlich, sondern sie leistet unersetzliche Dienste für die Konstitution kollektiver Handlungs­

fähigkeit sozialer Bewegungen. Kollektive Handlungsfähigkeit ergibt sich (w eder für eine G ruppe, noch für eine soziale Bewegung, noch für eine formale Organisation) nicht aus einer Kollektivrealität sui generis und auch nicht aus soziologisch-juristischen Phantombeschreibungen (Teubner 1987). Sie ergibt sich vielm ehr als Zurechnung von Komm unikationen auf das Handlungssystem

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,soziale Bewegung“. W ird diese Zurechnung im System operativ verw endet, dann konsolidiert sich kollektive H andlungsfähigkeit durch alle an diese Zu­

rechnung anschließenden Kom m unikationen bzw . Handlungen.

B evor es aber zu einer derartigen Zurechnung kom m t, m uß das Handlungs­

system sich erst einmal selber konstituieren, d. h. es müssen Grenzen zur Umwelt (Systemgrenzen) und kollektive Identität (System struktur) gebildet und aufeinander bezogen werden. Sonst liefe die Zurechnung leer: A u f was sollte zugerechnet w erden? Die Program m form el ,Lebenschancen‘ bietet nun unter bestimmten sozialstrukturellen B edingungen die M öglichkeit, eine soziale Bewegung zu konstituieren, indem entsprechende System grenzen u n d- struk­

turen gebildet werden. A m Beispiel der A rb eiterbew egu n g: W enn es ein hinreichend exklusives sozialstrukturelles Optionsdefizit (Produktionsm ittel­

kontrolle zuallererst) gibt, dann läßt sich dieses Defizit als System -U m w elt­

grenze (bzw. -differenz) kommunizieren.

W enn es andererseits ein m obilisierbares K ollek tiv gibt, dessen Zukunfts­

erwartungen sich an jenem Defizit ausrichten lassen, dann können diese zur kommunikativen Struktur (zur Identität) des Handlungsssystems werden. W el­

chen politischen Konjunkturen diese System elem ente auch im m er ausgesetzt sein mögen, sie ermöglichen prinzipiell eine sich selbst konsolidierende k ollek­

tive Handlungsfähigkeit durch Zurechnung auf das System.

Es dürfte wohl deutlich sein, daß diese A usführungen ihren Z w eck darin haben, das Besondere an den neuen sozialen Bew egungen zu exponieren.

Diese stehen ganz augenscheinlich (vgl. A bschnitt I/II) vo r dem eigen­

tümlichen Problem, w ie andere soziale B ew egungen auch, ihre kollektive Handlungsfähigkeit unter Bezug auf die /V erbesserung1 von Lebenschancen sichern zu müssen — andererseits aber m it einer Sozialstruktur konfrontiert zu sein, die keine konsistenten Bezugspunkte fü r defizitäre Lebenschancen (kollektive Deprivationen) zuläßt. Um es kurz zu sagen: Es gibt keine exklu­

siven Optionsungleichgewichte und exklusive K ollektive, die fü r Ausgleich zu sorgen bereit wären. Gerade der A rbeitsm arkt (in den w estlichen Industrie­

ländern) zeigt das in aller Deutlichkeit: W enn es Optionsungleichgewichte (im Hinblick auf Arbeit) gibt, so w erden kollektive H andlungspotentiale durch eine wohlfahrtsstaatlich eingerahmte G ew erkschaftspolitik erfolgreich einge­

kapselt (Vobruba 1983).

Das Problem, auf das die Program m form el ,Lebenschancen“ beim Stand der Dinge bezogen werden müßte, w äre die m odernisierungsbedingte U m w and­

lung (s. oben) von generell wachsenden H andlungsoptionen in .Risikooptionen.

Damit ist der bereits thematisierte Sachverhalt gemeint, daß Optionen mit der Ungewißheit belastet sind und w eiter w erden, wann, w ie und w o sie durch technologische Innovationsschübe u n d/oder deren Folgen w ieder aufgehoben werden (von der Berufswahl über die W ohnortw ahl bis zur W ahl des Urlaubs­

ortes ist alles inbegriffen).

Dieses universelle ,Problem “ zum Gegenstand strategischer Interessen an Lebenschancen zu machen, hieße, die Gesellschaft von U ngew ißheit auf Ge­

wißheit umstellen, d. h. sie auf einen vorm odernen Zustand zurückdrängen zu wollen. Die Absurdität eines solchen U nterfangens leuchtet unm ittelbar ein und w irft zugleich ein Licht auf den Umstand, daß die n eu en sozialen Bewegungen keine strategischen Anhaltspunkte fü r kollektiv gesteigerte Le­

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benschancen jen seits der gegebenen modernen Gesellschaftsformation haben (und auch ,die G rünen' nicht).

W ieso können sie dann aber trotzdem ein mehr oder m inder stabiles Hand­

lungssystem ausbilden, obw oh l dort, w o ihre Vorgänger kollektive Lebens­

chancen in system verändernder oder gar -transform ierender Absicht definieren konnten, sich heute nur noch schwarze Kästen zeigen?

IV. R isikoselektion

Zunächst einm al ist davon auszugehen, daß die nsB sich als Handlungs­

system (wie jedes andere auch) nicht — jedenfalls nicht allein — durch lang­

w ierige Diskurse konstitutieren können. Kom unikativ erzielter Konsens ist — gerade angesichts der skizzierten Tendenz zur sozialstrukturellen Heterogeni- sierung von ,B etroffenheit' — ein zu anspruchsvolles Mittel zur Organisierung k ollektiver H andlungsfähigkeit. Ein Handlunsssystem wie die nsB muß sich gegenüber anderen System en in seiner Umwelt behaupten können. Es gerät deshalb unter Selektionsdruck im Hinblick auf kommunikative Grenzziehung und Strukturbildung. Dabei kann man die (nicht weiter verwunderliche) Ten­

denz unterstellen, daß unter Selektionsdruck diejenigen Deutungen Selektions­

vorteile haben, die zeitlich gesehen naheliegen, sachlich gesehen wenig be­

gründungsbedürftig erscheinen und sozial gesehen kommunikativ verbreitet sind.

Die fü r diesen Prozeß v o r allem in frage kommenden ,neuen Mittelschich­

ten' tendieren dazu, kooperative Selbstbeschränkungsnormen für die Bildung kollektiver Identität in A nspruch zu nehmen. Dies geschieht vor dem Hinter­

grund eines im m er aussichtsloser werdenden (Hirsch 1980) und mit immer m ehr Enttäuschungen verbundenen (Hirschman 1982) individualistischen K on­

kurrenzkam pfes um zusätzliche Optionen. A ber diese Normen müssen auf etwas bezogen w erden, sonst laufen sie leer. Und dieser Bezug w ird hergestellt durch den zentralen Prozeß der R isikokonversion. Anstatt die black b ox irreversibler, interdependenter und inklusiver Risiken durch gesellschaftspolitische Trans­

form ationsstrategien zu attackieren, werden spezifische, für jedermann deut­

liche Risiken ausgewählt, auf die sich dann Verm eidungsim perative richten.

Kernenergie, W aldsterben und Aufrüstung sind solche Risiken, auf deren A b ­ w eh r man sich einigen kann und die deshalb die Zurechnung kollektiver H andlungsfähigkeit erm öglichen. Eben das erlaubt die kom plexe Risikostruktur m oderner Gesellschaften gerade nicht. Man kann sie zwar thematisieren, aber nicht unter dem strategischen A spekt kollektiver Handlungsfähigkeit. Dafür eignen sich besser jene ,Stellvertreterrisiken“, die gleichsam Metaphern für eine unbeherrschbare Risikostruktur der Gesellschaft sind. Was für ein Hand­

lungssystem w ie die nsB nicht ohne gravierende Verluste an kollektiver Hand­

lungsfähigkeit kom unizierbar ist, das kommuniziert es nicht. Was sie anstelle dessen kom m unizieren, sind Risiken, deren Katastrophenpotential gewisser­

m aßen über jeden Dissens erhaben ist. Dieser Dissens bräche ganz automatisch los, wenn jen er Risikouniversalismus direkt zur strategischen Konfliktmasse gem acht würde, denn dieser erzeugt ja gerade heterogene, sich überschnei­

dende, kaum zur Deckung zu bringende B etroffenheiten'.

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Demgegenüber sorgt die Selektion solcher Risiken, deren Katastrophen­

potential denkbar groß ist, dafür, daß der Dissens (darüber, ob das Risiko nicht doch einzugehen ist, weil ansonsten andere, zum indest ebenso große Risiken drohen etwa) innerhalb der nsB gering ist, gegenüber den gew ählten Risiko­

typen aber maximal. So — und nur so — kom m t m an zu k ollektiver Handluns- fähigkeit. Die Risikoselektion wird letztlich geführt durch O rientierung an der möglichen Katastrophe. Die D ifferenz von R isiko und G efahr bzw . Katastrophe (Luhmann 1986) dient in diesem Zusamm enhang ganz augenscheinlich einem Imperativ des Handlungssystem nsB: der Sicherung k ollek tiver H andlungs­

fähigkeit. Andererseits spiegelt sich in der Selektion der Risiken gleichsam (wie ein negatives V exierbild) die Heterogenität und D iffu sion sozialstrukturell verstellter Lebenschancen: es sind typischerweise solche Risiken, von denen unkontrollierbare Effekte mit irreversiblen Folgen erw artet w erden : A K W s/

Gentechnologie/W ettrüsten/gestörte Ökosysteme. Insofern folgt die R isikoselek­

tion der nsB auch den lebenspraktischen Verhältnissen ihrer sozialen Träger (vgl. Douglas/W ildavsky 1983) und nicht nur dem Im perativ k ollektiver Hand­

lungsfähigkeit. Etwas schärfer form uliert könnte man auch sagen, daß beide Aspekte im Handlungssystem nsB präsent sein müssen.

A ber nur für die Erzeugung kollektiver H andlungsfähigkeit ist jene Risiko­

konversion entscheidend wichtig. W ie kann man sich aber erklären, daß diese nicht kollektiv durchschaut und damit ihrer Funktion fü r den System bildungs­

prozeß beraubt wird?

Dafür gibt es zumindest zwei Gründe. Einerseits verhindert die Katastro­

phenorientierung der nsB den reflexiven D u rch griff auf die konsensvereitelnde Struktur risikouniversalistischer Themen. G efahren bzw . Katastrophen dik­

tieren gleichsam nicht w eiter begründungsbedürftige Verm eidungsim perative.

Demgegenüber produziert Orientierung an Risiken im mer U ngew ißheit im Hinblick auf mögliche Risiken, die man eingeht, w enn man irgendein anderes beseitigt (AK W s oder K ohlekraftw erke?). U ngew ißheit aber reduziert Hand­

lungsbereitschaft durch höheren A u fw an d an R eflexion . Insofern ist die Orien­

tierung an Gefahren bzw. Katastrophen nicht nur eine erw artbare Reaktion derer, die von den Risikoentscheidungen anderer (korporativer A kteure) be­

troffen sind, sondern zugleich ein Mittel, jen e R isikokonversion latent zu halten.

Es bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung, daß dieser .Verheim lichungs­

prozeß“ nicht-intentional ablaufen muß. Da er sich aber auch nicht automatisch herstellt, w ird man mit intuitiven Em pfindlichkeiten und diskursiven A u f­

merksamkeitsschwellen rechnen müssen, die auf der Grundlage einmal erreich­

ter Übereinstimmungen als ,abweichend“ erscheinende Kom m unikationen er-:

schweren. Eine irgend absolute Stabilitätsgarantie ist das natürlich nicht.

Ein zweiter Mechanismus, der gew isserm aßen vertiefen d w irkt, liegt w ie ­ der auf der Ebene von Metaphern. M ary Douglas (1986) hat die These aufge­

stellt, daß Institutionen ihren Ursprung in sozialen K onventionen (deren Be­

rechtigung man anzweifeln könnte) dadurch verbergen, daß sie natürliche Analogien in Anspruch nehmen. Etwas ähnliches tun die nsB auch, w enn sie die Metapher .natürlicher Gleichgew ichte“ in A nspruch nehmen, um die ,Un­

vertretbarkeit“ technisch-ökologischer Risiken zu deklarieren.

Die (risikokonvertierten) Ansprüche der nsB an die G esellschaft werden dann in einem Anspruch auf Erhaltung von Natur verankert, die eine reflexive Rückkehr in die soziale Struktur des Risikouniversalism us blockiert. Diesem

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Z w eck dient verm utlich auch die nicht selten zu beobachtende Indienstnahme der ,Ö k ologie als Leitwissenschaft' (Trepl 1983) in den nsB. Inwiefern all diese heim lichen Prozeduren ein wirksam es Mittel bilden, W idersprüche gegen risiko­

universalistische Strukturen zu organisieren — das kann in diesem Argum en­

tationsrahmen natürlich nicht beantwortet werden.

LITERATUR

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