• Rezultati Niso Bili Najdeni

Aspekte der Männlichkeit in Arthur Schnitzlers Drama Reigen Vidiki moškosti v drami Arthurja Schnitzlerja Vrtiljak

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "Aspekte der Männlichkeit in Arthur Schnitzlers Drama Reigen Vidiki moškosti v drami Arthurja Schnitzlerja Vrtiljak"

Copied!
63
0
0

Celotno besedilo

(1)

UNIVERZA V LJUBLJANI FILOZOFSKA FAKULTETA ODDELEK ZA GERMANISTIKO

Z NEDERLANDISTIKO IN SKANDINAVISTIKO

TIMOTEJ KLOPČIČ

Aspekte der Männlichkeit in Arthur Schnitzlers Drama Reigen

Vidiki moškosti v drami Arthurja Schnitzlerja Vrtiljak

Magistrsko delo

Ljubljana, 2021

(2)

UNIVERZA V LJUBLJANI FILOZOFSKA FAKULTETA ODDELEK ZA GERMANISTIKO

Z NEDERLANDISTIKO IN SKANDINAVISTIKO

TIMOTEJ KLOPČIČ

Aspekte der Männlichkeit in Arthur Schnitzlers Drama Reigen

Vidiki moškosti v drami Arthurja Schnitzlerja Vrtiljak

Magistrsko delo

Mentorica:

doc. dr. Petra Kramberger

Magistrski enopredmetni pedagoški študijski program druge stopnje: Nemščina

Ljubljana, 2021

(3)

Zahvala

Iskreno se zahvaljujem mentorici doc. dr. Petri Kramberger za vso pomoč in usmerjanje pri pisanju magistrske naloge.

Zahvala gre tudi dr. Sebastianu Zillesu za pomoč z gradivom in literaturo.

Nazadnje se zahvaljujem tudi družini, prijateljicam in prijateljem, kolegicam in kolegom, ki so mi v času študija pomagali, me spodbujali in mi stali ob strani.

(4)

Izvleček

Vidiki moškosti v drami Arthurja Schnitzlerja Vrtiljak

Pričujoče magistrsko delo sprva teoretično razišče pojem moškosti in moškega diskurza, njegovo zgodovino in razvoj ter ga nato umesti v raziskovalno področje analize posameznih moških figur in prikaza njihove moškosti na podlagi različnih vidikov moškosti. V nadaljevanju sledi podrobnejša analiza moških likov v delu Vrtiljak, raziskan je njihov vpliv v družbi, njihova vloga moči ter spolnost, kakor tudi njihov vpliv na ženske like drame, prav tako pa je raziskan tudi vpliv ženskih likov nanje. Posebna pozornost je namenjena razmerjem družbene moči in njenim razlikam v javni in zasebni sferi.

Ključne besede:

avstrijska književnost, Arthur Schnitzler, Vrtiljak, literarni liki, moški liki, spolne vloge, družbena moč

Abstract

Aspects of Masculinity in Arthur Schnitzlers Theatre Play La Ronde

This master thesis theoretically explores the concept of masculinity and male discourse, its history and development. In the first part, the concept is then placed into the research field of the analysis of male literary figures and representation of masculinity from different angles.

The second part presents the analysis of male characters in the work La Ronde (the original German name is Reigen) by Arthur Schnitzler, their role in society, particularly with regards to the role of power and sexuality, and their influence on female characters within the drama, as well as the influence of female characters on both power and sexuality. Special attention is paid to the relations of social power and differences between them within the private or public sphere.

Key words:

Austrian literature, Arthur Schnitzler, Reigen/La Ronde, literary characters, male characters, sex roles, social power

(5)

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 7

2 Was ist Männlichkeitsforschung? ... 11

2.1 Historische Entwicklung der Männlichkeitsforschung ... 13

2.2 Aspekte der Männlichkeit ... 16

2.2.1 Aspekt der Macht ... 17

2.2.2 Aspekt des gesellschaftlichen Einflusses ... 17

2.2.3 Aspekt der Sexualität ... 19

3 Analyse der Figuren im Drama Reigen ... 21

3.1 Der Soldat ... 24

3.1.1 Die Dirne und der Soldat ... 24

3.1.2 Der Soldat und das Stubenmädchen ... 26

3.2 Der junge Herr ... 29

3.2.1 Der junge Herr und das Stubenmädchen ... 29

3.2.2 Der junge Herr und die junge Frau ... 32

3.3 Der Gatte ... 37

3.3.1 Der Gatte und die junge Frau ... 37

3.3.2 Der Gatte und das süße Mädel ... 41

3.4 Der Dichter ... 44

3.4.1 Der Dichter und das süße Mädel ... 44

3.4.2 Der Dichter und die Schauspielerin ... 47

3.5 Der Graf ... 51

3.5.1 Der Graf und die Schauspielerin ... 51

3.5.2 Der Graf und die Dirne ... 54

4 Schlussbemerkungen ... 58

5 Zusammenfassung ... 60

(6)

6 Povzetek ... 61

7 Quellen- und Literaturverzeichnis ... 62

7.1 Primärliteratur ... 62

7.2 Sekundärliteratur ... 62

7.3 Internetquellen ... 63

(7)

1 Einleitung

Was ist eigentlich Männlichkeit? Ist es ein Vollbart, der Penis oder das geschlechtstypische Verhalten, das sich alle paar Jahrzehnte verändert, oder sind es doch eher der Arbeitsplatz, die soziale Position, das verdiente Geld und das Ansehen? Noch vor einigen Jahrzehnten war ein stereotypischer Mann jemand, der zur Arbeit ging und finanziell seine Familie versorgte, Kindererziehung und Hausarbeit fiel aber den Frauen zu. Einerseits sind solche traditionalistischen Ansichten heute noch zu finden, andererseits findet man aber auch Männer, die viel offener sind und die Elternrolle mit der Frau in allen Aufgaben teilen, Männer, die andere Männer lieben und ein Kind adoptieren und sich so eine Familie schaffen, und auch Männer, die mit einer Vagina geboren wurden und sich für eine Geschlechtsangleichungsoperation entschlossen haben und sich danach von einem

„biologischen Mann“ kaum unterscheiden. Männlichkeit ist ein Begriff, der nicht nur auf das Äußerliche eingegrenzt werden kann, da weder Vollbart, Muskeln, Bierbauch oder Penis heutzutage etwas sind, was nur für „biologische Männer“ gilt, sondern man muss Männlichkeit vor allem durch Aspekte definieren, die verschiedene gesellschaftliche Ansichten und Werte widerspiegeln.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich deshalb mit den Aspekten der Männlichkeit in Arthur Schnitzlers Drama Reigen, da diese Aspekte in der Literatur nur mit einer genauen Analyse der Figuren, ihrer Beschreibungen und Interaktionen erforscht werden können. Das Widerspiegeln der Werte und Ansichten und die daraus hervortretenden Aspekte in einem Text sind natürlich nur so breit, wie dies die Weltansicht des Autors zugelassen hat. Man kann bei einem Text aus der Zeit der Jahrhundertwende, also aus der Zeit um das Jahr 1900, nicht erwarten, dass er über Transsexualität spricht, da die Gesellschaft damals aus der heutigen Sicht viel konservativer war, und auch Werke, die man heutzutage als nichts Besonderes abstempeln würde, damals einen Skandal auslösten. Zur Auswahl dieses spezifischen Dramas kam es vor allem wegen der unterschiedlichen männlichen Figuren, die aus vielen verschiedenen gesellschaftlichen Schichten kommen, was eine gute Möglichkeit für eine interessante und vielfältige Analyse bietet. Gerade hieraus zieht auch die vorliegende Arbeit ihre Inspiration. Die Interaktionen zwischen diesen Schichten, die verschiedenen männlichen Figuren, ihr Handeln und Benehmen anderen Figuren gegenüber, ihre Gedanken und Emotionen dabei ‒ dies alles ist eine Schatzkammer, die aus der Sicht des Autors die Welt

(8)

und die Gesellschaft jener Zeit darstellt und eine Möglichkeit bietet, diese Studie zu schreiben.

Die vorliegende Magisterarbeit gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil befasst sich mit den vorhandenden Theorien zur Männlichkeitsforschung, ihrer Geschichte, Entstehung und verschiedenen Forschungsbereichen und basiert vor allem auf folgenden Texten: Gender- Studien von Christina von Braun und Inge Stephan1, Perspektiven der Erforschung des Zusammenhangs von literarischen Männlichkeiten und Emotionen von Toni Tholen2, Geschichte(n) von Macht und Ohnmacht von Uta Fenske und Gregor Schuhen3, Abschied vom Mythos Mann. Kulturelle Konzepte der Moderne von Karin Tebben4, Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch von Stefan Horlacher, Bettina Jansen und Wieland Schwanebeck5 sowie Geschlechter-Revisionen. Zur Zukunft von Feminismus und Gender Studies in den Kultur- und Literaturwissenschaften von Sabine Lucia Müller6.

Im zweiten Teil werden die männlichen Figuren untersucht, sowohl in Bezug auf verschiedene Aspekte der Männlichkeit als auch in ihrer Interaktion zum anderen Geschlecht.

Jede männliche Figur, die jeweils in zwei von insgesamt zehn Dialogen auftritt, wird genau analysiert und beschrieben, ihr Handeln erläutert, ihre Motive erörtert und ihr Charakter erforscht. Dabei müssen auch Verbindungen zwischen den fünf männlichen Figuren und ihren Partnerinnen sowie zwischen den Figuren und ihrer Umwelt reflektiert werden, seien es jene offensichtlichen Verbindungen, die im untersuchten Drama genannt werden, oder solche, die man nur aus dem breiteren Kontext als aufmerksamer Leser herausfinden kann. Eine solche Analyse stellt auch einen interessanten Vergleich dar, der den Stand von Literatur und Theater in der viel konservativeren Zeit der Jahrhundertwende mit der heutigen eher liberaleren Zeit zeigt.

1 Vgl. Christina von Braun/Inge Stephan (2000): Gender-Studien. Eine Einführung. Stuttgart/Weimar: Metzler.

2 Vgl. Toni Tholen (2013): Perspektiven der Erforschung des Zusammenhangs von literarischen Männlichkeiten und Emotionen. In: Toni Tholen/Jennifer Clare (Hrsg.): Literarische Männlichkeiten und Emotionen.

Heidelberg: Universitätverlag Winter, S. 9–26.

3 Vgl. Uta Fenske/Gregor Schuhen (2016): Geschichte(n) von Macht und Ohnmacht. Eine Einleitung. In: Uta Fenske/Gregor Schuhen (Hrsg.): Geschichte(n) von Macht und Ohnmacht. Narrative von Männlichkeit und Gewalt. Bielefeld: transcript Verlag, S. 7–29.

4 Vgl. Karin Tebben (2002): Männer männlich? Zur Fragilität des ,starken‘ Geschlechts. In: Karin Tebben (Hrsg.): Abschied vom Mythos Mann. Kulturelle Konzepte der Moderne. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 7–22; vgl. auch Karin Tebben (2002): Dem Schwachen eine Form. Die Femme fragile als Denkfigur des Homme fragile bei Heinrich Mann und Richard Beer-Hofmann. In: ebd., S. 189–203.

5 Vgl. Walter Erhart (2015): Deutschsprachige Männlichkeitsforschung. In: Stefan Horlacher/Bettina Jansen/Wieland Schwanebeck (Hrsg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart: Metzler, S.

11–25; vgl. auch Toni Tholen (2015): Deutschsprachige Literatur. In: ebd., S. 270–284.

6 Vgl. Walter Erhart (2006): Männlichkeitsforschung und das neue Unbehagen der Gender Studies. In: Sabine Lucia Müller/Sabine Schülting (Hrsg.): Geschlechter-Revisionen. Zur Zukunft von Feminismus und Gender Studies in den Kultur- und Literaturwissenschaften. Königstein/Taunus: Helmer, S. 77–100.

(9)

Das Drama Reigen wurde zwischen 1896 und 1897 geschrieben und im Jahr 1900 ließ Schnitzler einige Exemplare für seine Freunde drucken. Erst drei Jahre später, 1903, wird das Buch im Wiener Verlag veröffentlicht. Die eigentliche, jedoch noch keine offizielle Uraufführung war im Jahr 1912 in Budapest in ungarischer Sprache, die offizielle Uraufführung fand hingegen am 23. Dezember 1920 im Kleinen Schauspielhaus in Berlin statt und löste einen der größten Skandale des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.

Die Uraufführung in Berlin zog Proteste rechtsnationaler Kreise nach sich, die bis zum Prozess führten. In Wien wurde die Aufführung zum Schutz der öffentlichen Sicherheit verboten, da eine Vorstellung organisiert überfallen worden war und nicht nur das Inventar demoliert, sondern auch die Zuschauer verprügelt worden waren.7

Die Aspekte der Männlichkeit werden durch die Normen und Werten der jeweiligen Gesellschaft definiert. Dieses Drama wurde zur Zeit seiner Entstehung also viel anders wahrgenommen als heute und man kann behaupten, dass Männlichkeit an sich ein Konstrukt des Zeitgeistes ist und auch nur als solches untersucht werden kann. Daraus kann man zwei grundlegende Thesen aufstellen:

a) Männlichkeitsaspekte werden durch die damalige Gesellschaft, also die damals herrschenden Normen und Werte, durch die Zeit und den Raum, in dem ein Werk entstanden ist, festgelegt und die literarischen Figuren im Drama können nicht außerhalb des damaligen Weltverstehens handeln.

b) Die männlichen Figuren verschiedener gesellschaftlicher Schichten sind sich in ihren sexuellen Trieben und ihrer Lust im Wesentlichen doch gleich und unterscheiden sich nur in verschiedenen Männlichkeitsaspekten jener Zeit.

Es ist nicht möglich sich in die Gedanken einer Person aus der Jahrhundertwende zu projizieren und die wirklichen gesellschaftlichen Werte, die in jener Zeit herrschten, zu erforschen. Es gab keine breiten schichtenübergreifenden Umfragen wie sie heutzutage vorhanden sind, deshalb ist es schwer ein genaues Gedankenbild aller Schichten der Gesellschaft, vor allem der niedrigeren, analphabetischen und bildungsschwachen Schichten, zu erfassen. Eine gute Annäherung dazu sind aber die Werke von verschiedenen Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die versucht haben, auch das Gedankenbild dieser

7 Stefan Schweizer: Impressionistische Sexualmoral bei Arthur Schnitzler? Erhältlich unter:

http://www.ejournal.at/Essay/schnitzlerreigen.html (Zugriffsdatum: 1.7.2021).

(10)

Schichten darzustellen und es somit für die kommenden Generationen beizubehalten. Zu ihnen gehört sicherlich auch Arthur Schnitzler mit seinen zehn Dialogen im Drama Reigen.

Dieses Drama und seine Figuren bieten eine breite Möglichkeit einer Analyse der literarischen Männerbilder aus der Zeit der Jahrhundertwende. Vor allem die Vielschichtigkeit des Dramas hat mich dazu bewegt, mich für dieses Thema bei meiner Magisterarbeit zu entscheiden. Reigen ist noch heute ein sehr aktueller Text, da einige Aspekte und Themen – wie in fast jedem literarisch gelungenen Text – zeitlos sind. Mit der vorliegenden Studie wird vor allem die Vielfalt der Figuren gezeigt, die eine gute Widerspiegelung der damaligen Gesellschaft sind und uns etwas sehr wichtiges zeigen, und zwar, dass wir alle, Frauen und Männer, sei es als literarische Figur aus Gedanken und Tinte oder als lebende Menschen aus Fleisch und Blut doch im tiefsten Sinne gleich sind ‒ wir haben alle unsere Wünsche, Streben, Unsicherheiten, Ängste, Hoffnungen, Begierden, die wir mit uns tragen, sei es als Rüstung oder als ein Stein um den Hals.

(11)

2 Was ist Männlichkeitsforschung?

Wenn man sich mit der Männlichkeitsforschung auseinandersetzten will, muss man zuerst wissen, was dieser Begriff alles umschließt. Dieser Satz mag komisch klingen, es soll aber erwähnt werden, dass sich auch diese Forschungsdisziplin nicht auf einen Namen für ihr Feld einigen kann. In verschiedenen Ländern werden verschiedene Begriffe für den gleichen Forschungsbereich verwendet, z. B. Männlichkeitsforschung, Männerforschung, Männlichkeitsstudien, Männerstudien oder Männerwissenschaft.

Bis in die heutige Zeit reicht innerhalb der Männerforschung die Diskussion wie es sich bezeichnen soll bzw. darf. Insbesondere Forscher aus Großbritannien, jedoch auch aus den USA, sehen den Begriff Men's Studies als problematisch an. Es wird befürchtet, daß eine so benannte Disziplin in Konkurrenz zu Women's Studies treten könne - was nicht sein dürfe.8

Aber auch inhaltlich sind sich die Forscher bei ihren Ansätzen nicht immer einig und gehen oft aus verschiedenen Blickrichtungen an das Thema heran. Einige Forscher stützen sich eher auf eine feministische Blickrichtung, da die Frauenforschung schon viel früher etabliert wurde als die Männlichkeitsforschung, andere wiederum stützen sich eher auf eine soziologische Sichtweise, die die Männlichkeitsforschung eher als eine Untersuchung des Patriarchats sieht, welche sich sowohl gegen das andere Geschlecht als auch gegen das eigene Geschlecht in verschiedenen sozialen Schichten richtet.

[...], daß nicht nur der Kapitalismus, sondern auch das Patriarchat als ein System begriffen werden muß, das nicht nur gegen Frauen und Kinder, sondern auch gegen Angehörige der

„herrschenden Klasse“ ‒ gegen Männer ‒ richtet. Hearn begreift Männer als Akteure eines Unterdrückungssystems, dem sie nicht entrinnen können.9

Die Männlichkeitsforschung ist sowohl mit der Frauenforschung wie auch mit den Queer- Studies und den Gender-Studies, also der Geschlechterforschung, verbunden. Vor allem die letzteren waren in den letzten Jahren ziemlich umstritten und in den Medien sehr oft – vor allem von populistischen Laienreportern, die nicht viel über den Inhalt wussten (außer zwei oder drei Sätze über Judith Butler und ihre Studien über biologisches und sozialles

8 Christina von Braun/Inge Stephan (2000): Gender-Studien. Stuttgart/Weimar: Metzler, S. 98.

9 Ebd., S. 99.

(12)

Geschlecht, die sie im Internet gefunden haben, kannten) – missbraucht, um ihre Agenda zu verbreiten. In der Realität geht es bei der Geschlechterforschung um viel mehr als das, was der Öffentlichkeit jetzt dank schlechter Berichterstattung bekannt ist. Was die Geschlechterforschung alles beinhaltet, verdeutlicht das folgende Zitat:

Man muß sich zunächst mit der Tatsache vertraut machen, daß man mit unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Formen der Wissensaneignung und der wissenschaftlichen Methodik konfrontiert wird. Geschlechterforschung zu studieren ist nur dann sinnvoll, wenn es gelingt, die Querverbindungen zu begreifen, die zum Beispiel Philosophie mit den Naturwissenschaften, Kunstgeschichten mit Medizin, Literatur mit Rechtswissenschaft und Theologie mit den Sozialwissenschaften verbindet. Es ist wichtig, sich klarzumachen, daß die Gesetze, die über das Verhältnis der Geschlechter bestimmen, den Kern jeder Gemeinschaftsordnung bilden [...].10

Um bei einer so umfangreichen Frage, die noch immer stark diskutiert wird und bei der es viele Grundgedanken gibt, nicht zu weit auszugreifen, beschränkt sich diese Arbeit auf den Ansätzen, die vor allem in Schnitzlers Reigen aufzufinden sind. Immer wenn man über Männlichkeitsforschung liest, kann man historisch gesehen ganz oft die Ausdrücke Macht und Hegemonie finden. Das überrascht nicht, da Männer in der Geschichte immer die Führungspositionen innehatten, aus denen sie Entscheidungen trafen. Auch wenn man in der Geschichte einige Ausnahmen vorfindet, wie Königen Elisabeth I, Maria Theresia oder Katarina die Große, sind dies nur, relativ gesehen, kurzzeitige Akteurinnen, die in einer von Männern dominierten Welt in einer Position der Macht sind. Diese Machtposition wurde ihnen aber auch nur durch die soziale Struktur des Adels ermöglicht, ohne welche sie als Frauen in den gegebenen Umständen und Zeitperioden schwer etwas erreichen hätten können.

Und obwohl sie eine Position der Macht hatten, mussten sie trotzdem einen ständigen Kampf mit der männlich dominierten Welt ausfechten. Hierbei sollte man erwähnen, dass obwohl die meisten Menschen in Europa die Namen dieser drei Herrscherinnen kennen, sie jedoch weniger für ihre Erfolge bekannt sind, welche auch die Erfolge vieler anderer männlicher Herrscher vor und nach ihnen überschatten, als für die Gerüchte und Geschichten, die sich um sie drehen. Es ist aber gerade das andere Geschlecht, das die Männlichkeitsforschung ermöglicht hat. Wie schon erwähnt, hat sich die Frauenforschung vor der Männlichkeitsforschung etabliert und dies führte in den letzten Jahrzehnten des 20.

10 Ebd., S. 11.

(13)

Jahrhunderts auch zu den Anfängen einer Entwicklung der Männlichkeitsforschung als Wissenschaft, obwohl sich diese erst später im 21. Jahrhundert wirklich etabliert.

2.1 Historische Entwicklung der Männlichkeitsforschung

Was Männlichkeit in der Forschung bedeutet, wurde in der Geschichte verschieden definiert, meist aber ging es um ein traditionelles Verständnis der Geschlechterrollen. Die Anfänge der Männlichkeitsforschung in Deutschland werden erst in den späten 1970er und 1980er Jahren angesetzt, wobei diese nach Erhart noch in den 1990er Jahren weit von jeglicher akademischer Partizipation entfernt waren und sich eher auf die sozialpsychologische Belletristik und autobiografisch orientierte Erfahrungsbereiche beschränkten.11

Eher außerhalb und an den Rändern der Wissenschaft entwickelte sich in den 1970er und 1980er Jahren eine gesellschaftliche (Männer-)Bewegung, deren Ausgangspunk die Kritik und die mögliche Veränderung der traditionellen Männerrollen und der männlichen Selbstbilder waren. In den USA und in Großbritannien hat diese Bewegung unter dem Begriff „Men's Studies“ bereits in den späten 1970er Jahren auch akademische Aufmerksamkeit erlangt und eine in diesem Sinn „kritische“ Männlichkeitsforschung initiiert [...] In Deutschland beschränkte sich di Diskussion einer kritischen „Männerforschung“ noch in den 1980er Jahren überwiegend auf den Bereich der Populärwissenschaften, [...].12

Ein wichtiger Text aus der Frühphase der Männlichkeitsforschung ist sicherlich die Studie von Klaus Theweleit Männerphantasien aus dem Jahr 1980. In dieser Studie, die sich zwar eher auf die Zwischenkriegsjahre fokussiert und auf Dokumenten, Briefen, Selbstzeugnissen und literarischen Texten basiert, versuchte Theweleit eine normale13 psychische Struktur der Männlichkeit zu finden. Die Studie fand auch in der Literaturwissenschaft ihren Platz, obwohl der Schwerpunkt der Studie eher psychoanalytisch als literaturwissenschaftlich ist. Dies ist aber bei Themen, die sich innerhalb der Literatur mit den gesellschaftlichen Konzepten befassen, oft der Fall. Literatur ist viel mehr als eine Geschichte mit schön konstruierten Motiven und einer Moral am Ende. Wenn man Werke tiefer analysiert und nach sozialen

11 Vgl. Walter Erhart (2015): Deutschsprachige Männlichkeitsforschung. In: Stefan Horlacher/Bettina Jansen/Wieland Schwanebeck (Hrsg.): Männlichkeit. Stuttgart: Metzler, S. 12–13.

12 Ebd., S. 12.

13 Das Wort „normal“ wird hier verwendet, um die Ziele der Studie besser zu verdeutlichen, obwohl schon erwähnt wurde und es noch weiterhin erläutert wird, dass etwas wie Normalität in einer Frage wie Geschlechterrollen sehr schwer zu definieren ist und man heute eigentlich nicht mehr über Normalität spricht.

(14)

Elementen sucht, kann man nicht nur innerhalb der Geschichte und des Buches suchen, sondern man muss den Blick viel weiter ausbreiten und auf die Einflüsse der Zeit und der Gesellschaft, auf die Denkweisen und auch auf den Verfasser des Geschriebenen achten. Das ist auch der Grund, weshalb auch Literatur, die vor hunderten von Jahren geschrieben wurde, noch immer einen Wert in der heutigen Zeit hat und man deshalb einige Werke immer wieder aus neuen Blickrichtungen analysieren kann. Mit der Entwicklung verschiedener Ansätze zur Analyse, eröffnen sich auch neue Möglichkeiten der Interpretation. Die Männlichkeitsforschung ist ein relativ neuerer Ansatz, der nicht nur durch die Literaturwissenschaft geprägt wurde, sondern durch ganz viele Wissenschaften, wie man bei Theweleits psychoanalytischen Ansatz zur Forschung gut sehen kann. In den 1990er Jahren erscheinen zahlreiche Publikationen, die sich mit der Geschichte der Männlichkeitsformen und Identitäten beschäftigen. Faszinierend ist, dass sich die Männlichkeitsforschung in dieser Zeit in viele verschiedene Richtungen verzweigt. So untersucht man sowohl die historischen Aspekte, bei denen man keine konsistente Linie der Männlichkeitsform verfolgen kann, sowie auch soziologische Aspekte, die oft auch Unterschiede und Wiedersprüche zwischen den Leitbildern und den gelebten Praktiken aufzeigen. Es handelt sich also um eine Pluralität der Männlichkeit, die man auch später bei der Analyse der Figuren gut verdeutlichen kann.

Reawyn Connel hat 1995 in ihrem einflussreichen, 1999 in deutscher Übersetzung erschienenen Buch Masculinities den Begriff der „hegemonialen Männlichkeit“ geprägt und dadurch zugleich zahlreche davon abweichende und „marginalisierte“ Männlichkeiten in den Blick gerückt. Davon ausgehend und darüber hinaus hat der Soziologe Michael Meuser den Habitus-Begriff von Pierre Bourdieu ins Spiel gebracht, um das Verhältnis von hegemonialer Männlichkeit und ihren vielfältigen Varianten genauer bestimmen zu können.14

Der Grund für diese Pluralität ist auch in den sozialen Strukturen zu suchen. Die Leitbilder entsprechen nur selten der Masse. In der selben Zeit, also in den 1990er Jahren, kommt es mit Judith Butler auch zu einer Umstellung im Denken zu sex und gender, also zum biologischen und soziokulturellen Geschlecht, wobei auch hier die Debatte noch viel breiter ist und es auch im Sinne vom biologischen Geschlecht keine Dualität gibt. Damit begann auch die Auflösung einer sicheren Männlichkeit, die davor noch ganz geschichtlich offen definiert schien und sich in der politischen und sozialen Repräsentation widerspiegelte.

14 Ebd., S. 15.

(15)

Die Auflösung der Kategorie „Männlichkeit“ begann aus diesem Grund mit der Infragestellung ihrer Selbstverständlichkeit. Während die Geschichte der Frauen erst mühsam entdeckt werden musste, lag die Geschichte der Männer scheinbar offen zutage: seit jeher öffentlich sichtbar, in sozialen und politischen Repräsentationen immer schon manifest. In dem Maße, wie die verborgenen Geschichten, die verborgenen Text und die verborgenen Identitäten von Frauen zum Vorschein kamen, schien sich die Kategorie des „Mannes“ und der „Männlichkeit“ dabei nicht selten in einen monolithischen Block zu verwandeln, über den schon alles und schon viel zu viel gesagt worden ist [...].15

Obwohl die Essenz des Männlichen schon während der ersten Welle der Frauenbewegung, die sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts erstreckte, in Frage gestellt wurde, schienen die Fundamente der Männlichkeit trotzdem lange unantastbar zu sein, als etwas, worüber schon alles gesagt wurde. Untersucht und erbaut wurde erst das

„zweite Geschlecht“, jenes, das jahrhundertelang – und zum Teil immer noch – in einer minderwertigen Position ausharrte. Im frühen 21. Jahrhundert etablierte sich dann die Männlichkeitsforschung, die mittlerweile ein gleichwertiger Teil der Forschung in vielen Feldern ist, sie beinhaltet jedoch noch viele offene Fragen.

In der aktuellen Forschung aus unterschiedlichen Disziplinen zeichnet sich demzufolge ein neuer und offener, ein beweglich und vielfältig gewordener Begriff von Männlichkeit ab, der die Pluralität historischer, geographischer und sozialer Männlichkeiten aufnimmt, ohne die Gemeinsamkeit der mit dieser Kategorie erfassten Merkmale preiszugeben. Zu den künftigen Aufgaben der historischen, soziologischen und kulturwissenschaftlichen Männlichkeitsforschung dürfte es deshalb gehören, die jeweils divergenten Männlichkeiten in nationalen, europäischen und globalen Kontext in vergleichender Perspektive zu untersuchen um dabei zugleich die künftigen Verwendungsweisen eines nach wie vor gemeinsamen Begriffs von Männlichkeit zu erproben.16

Nach amerikanischem Vorbild werden auch in Deutschland zahlreiche Studien durchgeführt, welche die Geschichte der Männlichkeit erforschen und dabei alle Aspekte von Sexualität, Öffentlichkeit, Privatheit bis zu historischen Befunden und Inszenierungen berücksichtigen.

15 Walter Erhart (2006): Männlichkeitsforschung und das neue Unbehagen der Gender Studies. In: Sabine Lucia Müller/ Sabine Schülting (Hrsg.): Geschlechter-Revisionen. Königstein/Taunus: Helmer, S. 83.

16 Walter Erhart (2015): Deutschsprachige Männlichkeitsforschung. In: Stefan Horlacher/Bettina Jansen/Wieland Schwanebeck (Hrsg.): Männlichkeit. Stuttgart: Metzler, S. 21.

(16)

2.2 Aspekte der Männlichkeit

Wie bereits erwähnt, ist Männlichkeit nicht gleich Männlichkeit. Historisch gesehen stand bis zum Ende des 18. Jahrhundert ein Ein-Geschlecht-Modell im Vordergrund.17 Dieses Modell fokussiert sich unter anderem auf biologische Eigenschaften von Männern und Frauen und sieht die beiden Geschlechter nicht als unbedingt gegensätzlich, es wird jedoch auf die sozialen Unterschiede beider Geschlechter verwiesen. Diese „Gleichsetzung“ zeigt sich noch bis in das frühe zwanzigste Jahrhundert sehr evident bei Kleinkindern, was auch in jeder Galerie,in der die Gemälde aus diesen Zeitperioden ausgestellt werden, zu sehen ist. Meistens sind Kinder geschlechtsneutral dargestellt, beide Geschlechter tragen oft Kleider18 und sind kaum voneinander zu unterscheiden. Daher wäre hier die Frage interessant, warum heute der Ballon mit der Aufschrift „Es ist ein Mädchen“ immer pink und der Ballon mit der Aufschrift

„Es ist ein Junge“ immer blau ist. Solche kleinen und auf den ersten Blick unbedeutenden Differenzen tragen in sich aber eine Spaltung der Gesellschaft, die auf das Geschlecht bezogen und in alle Poren des Lebens eingeflossen ist. Diese Differenzen, vor allem im Bereich der Eigenschaften und des Benehmens, haben ihren wissenschaftlichen Ursprung im frühen 19. Jahrhundert, genauer 1824, mit der Allgemeinen deutschen Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, in der auf biologische, aber vor allem auf soziale Unterschiede verwiesen wird. Diese Unterschiede begrenzen auch das Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit und definieren, wie die beiden Geschlechter handeln müssen.19

Wenn man die historischen Aspekte außer Acht lässt und sich auf Grundmuster konzentriert, was natürlich schwer ist, da – wie bereits erwähnt – auch Männlichkeit an sich eigentlich ein Konstrukt der Zeit und der Umgebung bzw. der Gesellschaft ist, kann man doch einige Elemente finden, die sich über mehrere Perioden ziehen. Diese Studie konzentriert sich vor allem auf drei Aspekte, die sowohl im behandelten Drama als auch in der Zeit, in der das Drama spielt, ausgeprägt sind. Die drei hervorgehobenen Aspekte sind eine Eigeninterpretation auf Basis einer Zusammenfassung und Verbindung aus den Beiträgen von Toni Tholen20, Uta Fenske und Gregor Schuhen21 sowie Karin Tebben22.

17 Vgl. Karin Tebben (2002): Männer männlich? Zur Fragilität des ,starken‘ Geschlechts. In: Karin Tebben (Hrsg.): Abschied vom Mythos Mann. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 8.

18 Die Kinder konnten noch nicht selber aufs Töpfchen gehen, Windeln, wie man sie heutzutage kennt, waren nicht vorhanden und deshalb war ein Kleid auch für Jungen viel praktischer.

19 Vgl. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Conversations-Lexikon der Gegenwart (1840). Leipzig: Brockhaus. Erhältlich unter: https://www.digitale- sammlungen.de/en/view/bsb10400770 (Zugriffsdatum: 1.5.2021).

20 Vgl. Toni Tholen (2013): Perspektiven der Erforschung des Zusammenhangs von literarischen Männlichkeiten und Emotionen. In: Toni Tholen/Jennifer Clare (Hrsg.): Literarische Männlichkeiten und Emotionen.

Heidelberg: Universitätverlag Winter, S. 9–26.

(17)

2.2.1 Aspekt der Macht

An erster Stelle stehen die Machtpositionen bzw. Machtprinzipien und Herrschaftspositionen, die sich durch die Geschichte bis in die Neuzeit sehr stark in vielen literarischen Werken deutlich zeigen. Bei diesen Machtpositionen geht es aber nicht nur um die Machtposition des Mannes über die Frau bzw. des Männlichen über das Weibliche, sondern auch um Machtpositionen innerhalb des Männlichen.23 Auch Männer waren und sind noch immer oft Gefangene der Männlichkeitsmuster und Ideale der Zeit. Hierbei geht es aber nicht nur um Randstrukturen der nichtdominanten Strukturen der Männlichkeit, wie zum Beispiel Homosexuelle, sondern auch um die dominanten Leitbilder der Männlichkeit. Jene kann man trotz ihrer Position der Macht als machtlos ansehen, da sie selber in einem Kreis der Machtausübung gefangen sind, wo die Regeln und Verlangen sehr deutlich sind und sie ihnen auch gegen den eigenen Willen folgen müssen, um nicht die Position der Macht zu verlieren.

Was heißt das ganz konkret? Ein Mann muss sich benehmen und muss handeln wie die Normen der Zeit von ihm verlangen, auch wenn es gegen seinen eigenen Willen und gegen seine Überzeugung ist. Seine eigene Überzeugung hat keine Macht gegen die Machtstruktur, die in der Welt herrscht. Das war auch historisch so, dass auch wenn ein Mann auf einer Position der Macht etwas Revolutionäres machen wollte, dies im weiteren Sinne zum Misserfolg verdammt war, da die ganze Machtstruktur gegen ihn gerichtet war und er mit so einer Aktion nur seine eigene Macht verlieren würde und so selber machtlos wäre. Die Machstrukturen sind also in der Gesellschaft und in der Welt so verwurzelt, dass sie nur durch Veränderungen der Gesellschaft wirklich verändert und verschoben werden können und nicht durch Aktionen von einzelnen Personen, die zum Zeitpunkt die Macht besitzen.

2.2.2 Aspekt des gesellschaftlichen Einflusses

Auch Elemente des Raums und der Zeit und ihr Wahrnehmen durch beide Geschlechter ist ein Aspekt, den man genauer betrachten muss. Auf literarischer Ebene zeigt sich das im männlichen Spiegelbild zur Femme fragile, in dem Homme fragile. Die Repräsentation der zerbrechlichen Männlichkeit ist gesellschaftlich gesehen ein Gegenpol zu den erstgenannten

21 Vgl. Uta Fenske/Gregor Schuhen (2016): Geschichte(n) von Macht und Ohnmacht. Eine Einleitung. In: Uta Fenske/Gregor Schuhen (Hrsg.): Geschichte(n) von Macht und Ohnmacht. Bielefeld: transcript Verlag, S. 7–29.

22 Vgl. Karin Tebben (2002): Dem Schwachen eine Form. Die Femme fragile als Denkfigur des Homme fragile bei Heinrich Mann und Richard Beer-Hofmann. In: Karin Tebben (Hrsg.): Abschied vom Mythos Mann.

Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 189–203.

23 Vgl. Walter Erhart (2015): Deutschsprachige Männlichkeitsforschung. In: Stefan Horlacher/Bettina Jansen/Wieland Schwanebeck (Hrsg.): Männlichkeit. Stuttgart: Metzler, S. 14.

(18)

Machtpositionen, welche einen Mann ausmachen müssten. Solch eine Art der schwachen Männlichkeit wurde geschichtlich oft sehr problematisiert. Männer waren diejenigen, die etwas in der Gesellschaft erschaffen mussten. Denkt man hierbei an den wirtschaftlichen und finanziellen Einfluss, so war es in der Zeit um 1900 sehr schwer, ein Unternehmen zu starten, da man schon Geld, Macht und Einfluss brauchte, um anzufangen. Es gab natürlich viele kleine handwerkliche Betriebe, aber nur einige große Firmen und diese waren in Besitz einer Handvoll von Menschen. Viele der ganz großen Firmen waren auch vom Staat kontrolliert.

Gerade diese Kontrolle des Staats ist auch mit dem Einfluss der Politik verbunden. In einer Zeit, als der Adel anfing an Bedeutung zu verlieren, öffneten sich die Türen für viele Bürger, denen es im Interesse war, ihren Einfluss, den sie sich wirtschaftlich und finanziell erschafft haben, noch auszubreiten. Eine dritte Art des Einflusses ist mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verbunden. Durch die Wehrpflicht erhielten einige Männer die Möglichkeit im Rahmen des Militärs an Einfluss zu gewinnen und durch die Ränke aufzusteigen. Gerade die allgemeine Wehrpflicht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass das Bild der Männlichkeit in der Gesellschaft und die männlichen Werte, wie zum Beispiel Mut, Stärke und Willenskraft durch das Militär wieder etwas umdefiniert wurden.

Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts trägt jedoch die Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht dazu bei, die Funktion des bürgerlichen Mannes als Krieger zu universalisieren und seinen Weg in die politische Arena zu ebnen. In der paramilitärisch organisierten Turnbewegung wird das Ideal der „Männlichkeit“ zur heiligsten Pflicht und selbst die Männermode beugt sich dem Diktat einer „zivilen Uniforme“.24

An der Jahrhundertwende um 1900 wurden die Werte wieder neu definiert und es kommt zu einer Krise der Männlichkeit.

[...] Verschiebungen im Geschlechtsverhältnis genauso zu tun wie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und psychologischen Entdeckungen, insbesondere durch die Freudsche Psychoanalyse. Die Rede von einer „Feminisierung der Kultur“ oder von einer „effeminierten Männlichkeit“ bildet Symptome eines Geschlechterdiskurses ab, in dem [...] verunsicherte Männer auf sich emanzipierende Frauen treffen und in dieser Situation eine Reihe kulturprägenden Geschlechterbildern entstehen, die die Ängste von Männern (z. B. vor der

24 Karin Tebben (2002): Männer männlich? Zur Fragilität des ,starken‘ Geschlechts. In: Karin Tebben (Hrsg.):

Abschied vom Mythos Mann. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 9.

(19)

femme fatale) ebenso zum Ausdruck bringen wie die sich daraus ergebenden neuen Verfahrensweisen der literarischen Darstellung und Resouveränisierung von Männlichkeit.25

Dass die verschiedenen Werte für Männer und Frauen in einer umgewandelten Form noch bis heute anzufinden sind, spiegelt sich in den Aussagen wider, dass die Frauen das emotionale Geschlecht sind und die Männer das rationale,26 was natürlich unsinnig und beleidigend ist.

Man sieht bei solchen Aussagen nur, dass in der Gesellschaft der Gedanke, dass Frauen nicht so klug seien wie Männer, dass sie nicht nachdenken können und nur den Emotionen folgen, noch immer verbreitet ist. An dieser Stelle wäre aber zu erwähnen, dass auch nicht gerade wenige Männer zu sehr impulsiven Taten, über die sie nicht nachdenken, bevor sie handeln, fähig sind. Solche Taten sind oft auch mit der Sexualität, beziehungsweise den sexuellen Trieben und der Lust verbunden.

2.2.3 Aspekt der Sexualität

Ab dem späten 19. Jahrhundert war und ist noch immer die Rolle der Sexualität in Bezug auf beide Geschlechter ein wichtiger Aspekt. Die Rolle des Geschlechtsverkehrs hat sich in der Geschichte oft verändert. In der Zeit, in der das Drama geschrieben wurde, diente Geschlechtsverkehr offiziell nur der Kinderzeugung, wobei sich diese Scheinheiligkeit teilweise in einer geringeren Rigidität noch bis in die 1960er Jahre hinzog, als es dann zu einer Revolution der sexuellen Freiheit kam.27 Ihr Einfluss zieht sich bis in die heutige sexuell sehr liberale Zeit, in der auch die Machtposition des Mannes, dessen Rolle im Bett traditionell eher dominant war, oft eine eher passivere Rolle einnimmt. Es ist allgemein bekannt, dass die viktorianische Zeit in England eine sexuell sehr unterdrückte Periode war und dasselbe gilt auch für die Wilhelminische Zeit in Deutschland.28 Gerade diese sexuelle Unterdrückung führte dann andererseits zum Aufschwung der Sexualität sowohl in der Literatur als auch in anderen Bereichen des Lebens, ganz im Sinne, dass die verbotene Frucht am süßesten schmeckt. Beim Thema Männlichkeit und Sex soll auf jeden Fall auch die Prostitution erwähnt werden. So kann auch hier eine Art der Machtausübung und der Machtposition der Männlichkeit über die Frau gefunden werden, obwohl sich hier die Rollen auch umdrehen

25 Toni Tholen (2015) Deutschsprachige Literatur. In: Stefan Horlacher/Bettina Jansen/Wieland Schwanebeck (Hrsg.) Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart: Metzler, S. 278.

26 Vgl. Julia Decker: Die Männer werden dann weich. In: Kopfsache. Erhältlich unter:

https://www.fluter.de/sites/default/files/kopfsache.pdf (Zugriffsdatum: 1.5.2021).

27 Vgl. Bettina Baumann: Freiheit oder neue Zwänge? 50 Jahre sexuelle Revolution. Erhältlich unter:

https://p.dw.com/p/33GI4 (Zugriffsdatum: 1.5.2021).

28 Kaiser Wilhelm II war der älteste Enkelsohn der englischen Königin Viktoria, was eine ähnliche Haltung zur Frage der Sexualität also nicht verwunderlich macht.

(20)

können und eine Prostituierte für den Mann nicht nur eine Femme fragile sein muss, sondern sich auch als eine Femme fatale entpuppen kann. Die Macht der Frau über den Mann kann gerade in diesem sexuellen Segment gut beobachtet werden, was auch im behandelten Drama dargestellt wird.

(21)

3 Analyse der Figuren im Drama Reigen

Im Drama treten zehn Figuren in zehn Dialogen auf, fünf Frauen und fünf Männer. Die weiblichen Figuren sind die Dirne, das Stubenmädchen, die junge Frau, das süße Mädel und die Schauspielerin, die männlichen Figuren sind aber der Soldat, der junge Herr, der Gatte, der Dichter und der Graf. Wenn man die Figuren in gesellschaftliche Schichten unterteilt, merkt man, dass sich die Dirne und das süße Mädel ganz unten auf der Gesellschaftsleiter befinden, etwas höher kommt dann das Stubenmädchen. Sie hat eine Arbeit, die zwar kein großes Ansehen hat und mit der sie nicht viel verdient, die aber gesellschaftlich trotzdem akzeptabel ist, im Gegensatz zu den ersten zwei weiblichen Figuren, die ihren Körper und Geschlechtsverkehr für Geld anbieten. Es folgen die junge Frau und die Schauspielerin, die beide Teil des Bürgertums sind. Die junge Frau kommt aus einem guten Haus, die Schauspielerin hingegen ist sehr angesehen und berühmt. Diese Berühmtheit und der damit verbundene Einfluss macht sie auch zu der Frauenfigur, die am höchsten auf der Gesellschaftsleiter steht. Die Rangierung der männlichen Figuren andererseits ist etwas klarer.

Den untersten Platz belegt der Soldat. Obwohl er einen passablen Beruf hat, ist er trotzdem dem jungen Herrn nicht übergeordnet. Es folgt der Gatte, der so wie der junge Herr Teil des Bürgertums ist. Dennoch ist der Gatte dem jungen Herrn übergeordnet, da in einer patriarchalen Gesellschaft Alter und Einfluss eine große Rolle spielen. Der Dichter ist wegen seiner Berühmtheit und des damit verbundenen Einflusses nur dem Grafen, dem Vertreter des Adels, untergeordnet.

Versucht man jetzt eine Rangierung aller Figuren zu machen, so sieht man, dass die Dirne und das süße Mädel natürlich auch in dieser Rangierung den untersten Platz auf der gesellschaftlichen Leiter belegen. Es folgt das Stubenmädchen als Vertreterin der Arbeiterklasse. Bei den nächsten zwei Figuren ist die Rangierung schon schwieriger. Die junge Frau ist Teil des Bürgertums, wohingegen der Soldat nur ein normaler Soldat ist, kein Offizier. Trotzdem ist der Soldat ein Mann und hat als solcher in der Gesellschaft doch mehr Macht. Man könnte also argumentieren, dass der Soldat sogar der jungen Frau in gewisser Hinsicht gesellschaftlich übergeordnet ist. Wenn man aber so argumentiert, dann müsste man den Soldaten auch höher als die berühmte Schauspielerin stellen. Es ist also angebrachter, die junge Frau höher auf der gesellschaftlichen Leiter zu stellen als den Soldaten, aber doch niedriger als den jungen Herrn. Obwohl der junge Herr nicht aus einem so guten Hause kommt wie die junge Frau, ist er ihr auf der gesellschaftlichen Leiter trotzdem übergeordnet.

(22)

Als nächste Figur würde man den Gatten einordnen, da er auch dem Bürgertum angehört, jedoch etwas älter ist und aus einem besseren Haus stammt. Das kann man aus dem Ende des Dialoges, in dem der junge Herr und die junge Frau auftreten, schlussfolgern, wo der junge Herr meint, dass er jetzt ein Verhältnis mit einer richtigen Frau habe.29 Das lässt vermuten, dass die junge Frau mindestens aus einem so guten Haus kommt wie er. Als nächste Person auf der Leiter kommt die Schauspielerin. Obwohl der junge Herr und der Gatte ihr als Männer übergeordnet sein könnten, ist die Schauspielerin berühmt und angesehen, hat eine gesellschaftliche Macht und besitzt Einfluss, der sie den beiden übergeordnet macht. Der bekannte Dichter kommt als nächste Person und an der Spitze der gesellschaftlichen Leiter steht der Graf, der einerseits ein Offizier ist und andererseits dem Adel angehört und als solcher in zwei Hinsichten eine hohe Position einnimmt.

Wenn man die Figuren im Drama in Bezug auf die gesellschaftlichen Strukturen isoliert betrachtet, kann man feststellen, dass die männliche Figur mit dem theoretisch niedrigsten gesellschaftlichen und sozialen Stand, also der Soldat, trotzdem mindestens drei Frauen übergeordnet ist. Man kann aber trotzdem schwer behaupten, dass der Soldat den anderen zwei Frauen übergeordnet ist. Es war nämlich so, dass gewöhnliche Soldaten meist die Armee als Flucht vor der Armut wählten, wenn man die allgemeine Wehrpflicht bei Seite lässt. Es war zwar eine gefährliche Flucht, da Kriege und Konflikte in dieser Zeit viel häufiger waren als heute, wo man in Europa ab dem Zweiten Weltkrieg, mit Ausnahme der Jugoslawienkriege und des Ukrainekriegs, keine größeren Kriege hatte, aber man hatte als Soldat trotzdem etwas zum Essen, ein Dach über dem Kopf und eine soziale Sicherheit, die man sonst nicht hätte. Männer aus den hohen Schichten waren meist keine gewöhnlichen Fußsoldaten, sondern wurden direkt in einen höheren, gemütlicheren Rang befördert und für sie war die Wehrpflicht oft auch angepasst und verkürzt.30 Man kann also auch in dieser komplett männerdominierten Sphäre des Militärs sehen, dass die Machtposition sehr wichtig ist. Obwohl das Militär als ein Ort dienen sollte, wo man seine Männlichkeit unter Beweis stellt und seine Ehre, Tapferkeit und seinen Willen zeigt, waren die Bedingungen nicht gleich für alle. Wenn man aus einer Position der Macht kam, erhielt man meist auch sofort eine Position der Macht. Die Gesellschaftsstrukturen der Welt wurden also auch in dieser Parallelwelt des Militärs beibehalten. Wie schon im theoretischen Teil erwähnt, hat sich die

29 Vgl. Arthur Schnitzler (1996): Reigen. In: Ders.: Reigen. Liebelei. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 23–102, hier S. 50. Im Folgenden im Fließtext mit dem Sigel R und Seitenzahl zitiert.

30 Benjamin Ziemann: Militärgeschichte. Perspektiven auf Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert.

Erhältlich unter: https://www.bpb.de/apuz/307656/militaer-und-gesellschaft-im-19-und-20-jahrhundert (Zugriffsdatum: 10.2.2021).

(23)

Gesellschaft damals sehr an der Armee orientiert und auch Freizeitbekleidung schöpfte Inspiration aus Uniformen.31 Das trotzdem zwei oder drei der fünf Frauen den Soldaten zumindest auf der Gesellschaftsleiter untergeordnet sind, ist wahrscheinlich kein tiefgreifender absichtlicher sozialkritischer Plan des Autors, sondern einfach ein Abbild der gesellschaftlichen Strukturen der damaligen Zeit. Man muss hierbei aber trotzdem anmerken, dass das Drama in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts spielt. Als das Drama also entstand, hatten die Frauen noch kein Wahlrecht, dieses bekamen sie in Österreich erst 1918.32 Man könnte also behaupten, dass alle Frauen im Drama auch dem Soldaten in einigen Aspekten untergeordnet sind. Wie bereits erwähnt, geht es beim Männerdiskurs auch um die sozialen Strukturen der Macht. Der Soldat hatte als Mann, der theoretisch wählen konnte, mit seiner Stimme also Macht bei Entscheidungen, die im Nachhinein auch die Frauen ‒ die ihm auf der sozialen Gesellschaftsleiter zwar überlegen sind ‒ beeinflussten. Schon bei dieser einleitenden kurzen Analyse der gesellschaftlichen Strukturen kann man also sehen, wie komplex das Thema ist und aus wie vielen Positionen man es betrachten kann. Es kann aber auch bemerkt werden, wie ungleichgewichtig die Macht verteilt ist. Fast die ganze gesellschaftliche Macht im Drama liegt also in den Händen der Männer, obwohl auch einige der Frauen vor allem eine verführerische Macht im sexuellen Sinne haben.

Die verführerische Macht der Frauen in diesem Drama ist jedoch nicht als ein Motiv der Sirenen, welche in alten griechischen Legenden die Männer in ihr Verderben locken, vorgestellt, vielmehr ist es eine sexuelle Begehrung der Männer, die im Einzelnen noch später beschrieben wird. Gerade diese Begehrung und Untreue, die damals wie heute vorkam, damals jedoch als ein noch größeres und schlimmeres Tabu galt, stellt etwas dar, was sich für sittliche Bürger einfach nicht gehörte. Der freie Wechsel von Liebespartnern und die Affären waren für die damalige Gesellschaft, und sind es teils immer noch, ein sehr kontroverses Thema. Schon der Titel selbst ist eine Anspielung an den spielhaften Wechsel der Teilnehmer.

Reigen bedeuten Duden zufolge nämlich einen „von Gesang begleiteter [Rund]tanz, bei dem eine größere Zahl von Tänzerinnen und Tänzern [paarweise] einem Vortänzer und Vorsänger schreitend oder hüpfend folgt“33 und so folgen die Tänzer, also die Figuren im Drama, einander und wechseln die Partner in einem Tanz der Liebe, Begehrung und Lust. Es ist gerade dieser sexuelle Aspekt mit dem Motiv vom Rundtanzwechsel, den Schnitzler genial

31 Vgl. Karin Tebben (2002): Männer männlich? Zur Fragilität des ,starken‘ Geschlechts. In: Karin Tebben (Hrsg.): Abschied vom Mythos Mann. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 9.

32 http://www.demokratiezentrum.org/themen/demokratieentwicklung/frauenwahlrecht.html (Zugriffsdatum:

10.2.2021).

33 Stichwort: Reigen, der. In: Duden-Online. Erhältlich unter:

https://www.duden.de/node/120099/revision/120135 (Zugriffsdatum: 12.7.2021).

(24)

nutzt um die Ketten der Gesellschaft zu zerreißen und ihr einen Spiegel vorzuhalten. Die schönen Fassaden und Sitten sind nur Täuschungen, welche die Macht der Gesellschaft verlangt. In der Begehrung und Lust sind sich aber alle, arm und reich, Dirne und Graf, gleich.

Als letztes wäre noch die Abwesenheit von Eigennamen bei der Benennung der Figuren zu erwähnen, obwohl man einige Namen im Laufe der Dialoge erfährt. Diese Abwesenheit hat zweierlei Gründe. Der erste Grund ist, dass die Figuren dadurch an Individualität verlieren und austauschbar sind. Die Repräsentation vom Soldaten Franz ist also nicht nur spezifisch für diese eine Figur, sondern als eine allgemeine Repräsentation der gesellschaftlichen Schicht. Dass der Autor die Figuren nur mit den gesellschaftlichen Schichten und Berufen benennt, ist also eine Kritik an der ganzen Gesellschaft. Der zweite Grund ist inhaltlicher und bezieht sich auf den Titel des Dramas. Im Wechseltanz weiß man nicht, mit wem man alles tanzen wird und das gleiche lässt sich für die Figuren feststellen, die mit ihrem „sexuellen Wechseltanz“ auch auf verschiedene neue sexuelle Partner treffen, welche sie oft nicht kennen, und diese dann in dem nächsten Dialog wieder wechseln.

3.1 Der Soldat

3.1.1 Die Dirne und der Soldat

Der Soldat ist die erste Person, die man im Drama findet, wobei es die Dirne ist, die das erste Wort im Drama spricht. Er wird von der Dirne als schöner Engel (vgl. R, 25) angesprochen.

Als sie anfangen zu reden, sind beide zuerst zögerlich. Das Zögern zeigt nicht nur die Angst bei einer illegalen Handlung entdeckt zu werden, sondern deutet auch auf ein gegenseitiges Misstrauen. Die Dirne befürchtet ein Wachmann könnte sie sehen, worauf hin der Soldat antwortet: „Lächerlich! Wachmann! Ich hab' auch mein Seiteng'wehr!“ (R, 25) Bereits bei so einem kurzen Satz kann man bemerken, dass sich die Macht- und Gesellschaftsschichten überall widerspiegeln. Der Soldat hat mit dem Gewehr also eine Macht der Gewalt, die der gewöhnliche Zivilist, den er oder der Wachmann eigentlich schützen müssten, nicht hat.

Obwohl der Soldat zunächst kein Interesse an Geschlechtsverkehr zeigt und in die Kaserne will, versucht ihn die Dirne mit ihrem Angebot, dass sie kein Geld von ihm will, gerade weil er Soldat sei, zu überreden: „Zahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie du, kann's immer umsonst bei mir haben.“ (R, 25) Ob es sich hier um einen Trick der Dirne handelt, um einen Kunden anzulocken, oder ob sie ihn wirklich wegen des Berufs und des damit verbundenen Status in der Gesellschaft will, ist dem Urteil des Lesers überlassen. Indizien zeigen aber eher

(25)

auf das Letztere. Es scheint nämlich, dass der Soldat über diese Dirne und dieses „für umsonst“ Angebot schon von einem Bekannten gehört hat. Als er die Dirne diesbezüglich anspricht, reagiert sie schnell mit: „Ich kenn' kein' Huber nicht.“ (R, 25) Mit der doppelten Verneinung hier will die Dirne noch deutlicher machen, dass sie nicht weiß, um wen es sich handelt, es hat aber den umgekehrten Effekt und verstärkt im Soldaten die Überzeugung, dass es sich um die Person handelt, über die er bereits gehört hat, und das genügt, dass er sich umentscheidet und doch mit ihr geht. Aus Angst, gesehen zu werden, gehen sie auf einen abgelegenen Platz.

Nach dem Geschlechtsverkehr fragt die Dirne den Soldaten dennoch um etwas Geld, er gibt ihr aber keins. Am Ende will die Dirne noch den Namen des Soldaten wissen, welchen der aber nicht verraten will, was die Absicht des Autors, mit den Figuren die Schichten zu repräsentieren und nicht das Individuum, nur noch unterzeichnet. (vgl. R, 27)

Wenn man sich die gesamte Kommunikationssituation ansieht und nur auf das Handeln der Figuren aufmerksam ist, fällt Folgendes auf: Die Dirne ist, wie man es erwarten kann, verführerisch und versucht den Soldaten mit dem Versprechen, ihn (ohne Bezahlung) sexuell zu befriedigen, anzulocken. Zugleich ist sie sehr beharrlich und gibt nicht einfach nach der ersten Hürde auf. Als der Soldat vorerst kein Interesse zeigt, bleibt sie insistent und schafft es ihn am Ende zu überzeugen. Wenn man ihre Aussagen wortwörtlich nimmt, hat sie eigentlich erreicht, was sie erreichen wollte, da sie meinte, dass ihr nur Zivilisten zahlen und sie kein Geld von dem Soldaten möchte. Bei der Analyse des Soldaten stechen stellenweise vor allem seine teils gemeinen, kalten und sehr defensiven Reaktionen hervor, als die Dirne ihm persönlichere Fragen stellt. Es ist natürlich verständlich, dass es nicht klug ist, einer Dirne persönliche Informationen zu geben, da sie diese auch zur Erpressung verwenden könnte, dennoch sind die Reaktionen des Soldaten keineswegs höflich. Er sieht die Dirne als ein Objekt an, als ein Stück Fleisch, mit dem er seine Lust befriedigen kann. Diese Sichtweise des Soldaten spiegelt auch eine Art der Machtausübung dar, welche noch heute aktuell ist. Es stimmt zwar, dass die Dirne ihm kostenlosen Sex angeboten hat, dennoch fragt sie ihn am Ende, ob er ihr etwas Geld geben könnte. Sie war in der gesamten Situation nie in einer vollkommen übergeordneten Position der Macht. Das Einzige, was ihr zur Verfügung stand, war die Macht der Verführung, den Soldaten zu täuschen und versuchen am Ende zumindest etwas zu profitieren. Dafür war sie bereit ihre Informationen preiszugeben, ihren Wohnort, den Namen und wo sie oft weilt. Der Soldat hingegen brauchte sich nie in eine Position herablassen, in der er irgendetwas preisgeben müsste. Er hatte die ganze Zeit fast alle Fäden in der Hand, sei es bezüglich des Ortes oder der Bezahlung. Und mit dieser Kontrolle über die

(26)

gesamte Situation, die er hatte, und dem übergeordneten Sozialstatus zeigte er die Quintessenz der Macht, die schon im Aspekt der Macht erwähnt wurde: Diejenigen, die Macht haben, können sie auf vielen Gebieten des Lebens nutzen. Der Soldat bekommt für seinen Dienst ein regelmäßiges Gehalt und hätte der Dirne etwas Geld geben können, hat sich aber dagegen entschieden, weil er es nicht als nötig ansah. Dies ist auch mit dem Stand der Dirne verbunden, oder besser gesagt, mit der Abwesenheit eines Standes. Die Dirne hat keinen Stand in der Gesellschaft, erledigt keine Arbeit, die anerkannt wäre, und kann also nicht direkt Geld für eine erledigte Tätigkeit verlangen.

3.1.2 Der Soldat und das Stubenmädchen

Die zweite Frau, mit der der Soldat auftritt, ist das Stubenmädchen. Obwohl auch das Stubenmädchen dem Soldaten untergeordnet ist, kann man bereits an der Sie-Form erkennen, dass die Rollen hier nicht so stark unausgeglichen sind wie in dem vorigen Dialog. Der Soldat ist wieder derjenige, der das Geschehen leitet, und das Stubenmädchen lässt sich ziemlich passiv vom Soldaten verführen. Der Soldat will das Stubenmädchen auch bald mit Du ansprechen „Pahdon! – Fräul'n Marie. Sagen wir uns Du.“ (R, 29), woraufhin das Stubenmädchen antwortet „Wir sein noch nicht so gute Bekannte. –“ (R, 29) Schon bei diesem Zögern, eine informelle Sprachform zu verwendet, sieht man den Versuch des Stubenmädchens, eine gewisse Distanz (und damit verbundene Ehre) aufrecht zu erhalten.

Dies kann man auch dem gesellschaftlichen Stand und den damit verbundenen Normen und Umgangsformen zuschreiben. Trotz der Tatsache, dass es sich bei keiner der beiden Figuren um einen höher positionierten Stand handelt, hat das Stubenmädchen dennoch viel Kontakt mit den höheren Schichten und so wird von dem Stubenmädchen eine gewisse Form des Benehmens erwartet, die teils auch ins Private übergeht. Das Stubenmädchen erhofft sich mehr Verführung, Romantik und Sittlichkeit von seinem Verführer ‒ zumindest kann man sein Handeln und Zögern so verstehen. Der Soldat hingegen wird von seiner Lust und Begierde geleitet und je näher er dem Ziel, also der sexuellen Befriedigung, ist, desto weniger gibt er auf vornehme Umgangsformen. Er führt das Stubenmädchen auf einen isolierten Platz in die Dunkelheit, wo sie niemand stört.

Stubenmädchen.

Stoßen S' doch nicht so, ich fall' ja um.

Soldat.

Pst, nicht so laut.

Stubenmädchen.

Sie, jetzt schrei ich aber wirklich. – Aber was machen S' denn ... aber –

(27)

Soldat.

Da ist jetzt weit und breit keine Seel'.

Stubenmädchen.

So gehn wir zurück, wo Leut sein.

Soldat.

Wir brauchen keine Leut, was, Marie, wir brauchen .... dazu .... haha.

Stubenmädchen.

Aber, Herr Franz, bitt' Sie, um Gotteswillen, schaun S', wenn ich das .... gewußt .... oh .... oh .... komm!.... (R, 30)

Das Stubenmädchen scheint mit dem Geschehen zuerst nicht einverstanden zu sein und will sogar schreien, es sagt, es wäre nicht mit ihm gegangen, wenn es das gewusst hätte, lässt es dann aber trotzdem passieren und motiviert ihn noch mit „komm!“. Natürlich rückt hier wieder die Frage der Macht in den Vordergrund. Der Soldat, wie schon im theoretischen Teil beschrieben, ist eigentlich ein in der Gesellschaft angesehener Beruf.

Nach dem Geschlechtsverkehr ändert sich das Verhalten des Soldaten gegenüber dem Stubenmädchen schleunig. Vorher hat er zwar schon gedrängt, war aber trotzdem freundlich und verführerisch, jetzt hingegen wird er gemein und benimmt sich sehr unhöflich und will nur zurück tanzen gehen. Dem Stubenmädchen ahnt es schon wie die Situation sich geändert hat und sagt auch, dass er ein schlechter Mensch sei, worauf er aber nur mit einem „Ja, ja.“

(R, 30) reagiert. Er will, dass das Stubenmädchen sich beeilt, er hilft ihm nicht wirklich aufzustehen, da er lieber eine Zigarette anzündet, und er wirkt nur noch arrogant. Auf die Frage des Stubenmädchens, ob er es gern habe, antwortet er zuerst ausweichend, dass es das wohl gespürt habe, beim nächsten Nachfragen sagt er dann doch, dass er es gern habe. Hier stellt man sich aber die Frage, ob die beiden das Verständnis von „jemanden gern haben“

auch teilen, da es scheint, dass der Soldat das gern haben nur im sexuellen Sinne versteht und das Stubenmädchen das ausschließlich auf die emotionale Ebene projiziert. Am Ende versucht das Stubenmädchen den Soldaten zu überreden, dass er es nach Hause begleitet, der möchte aber zurück tanzen gehen.

Stubenmädchen.

Du möcht'st am End' gar wieder tanzen geh'n?

Soldat.

Na freilich, was denn?

Stubenmädchen.

Ja, Franz, schau, ich muß zu Haus geh'n. Sie werden eh schon schimpfen, mei' Frau ist so eine .... die möcht' am liebsten, man ging gar nicht fort.

(28)

Soldat.

Na ja, geh' halt zu Haus.

Stubenmädchen.

Ich hab' halt 'dacht, Herr Franz, Sie werden mich z'hausführen.

Soldat.

Z'hausführen? Ah! (R, 30)

Als sie zurückkehren, deckt das Licht die Schatten seines Täuschens auf und der Soldat zeigt sein wahres Gesicht. Er hat das erreicht, was er wollte, und das bekommen, was er suchte, also braucht er sich nicht mehr zu verstellen und das Stubenmädchen zu verführen. Er hat seine sexuellen Lüste an ihm gestillt und geht sein nächstes „Opfer“ auf der Feier suchen.

Dass das Stubenmädchen ihm egal ist, zeigt er auch damit, als er meint, es kann auf ihn warten oder gehen.

***

Der Soldat ist in beiden Dialogen in einer übergeordneten Machtposition und befriedigt (dadurch) seine sexuellen Bedürfnisse. Es gibt aber auch Unterschiede in den beiden Situationen. Wenn in der Szene mit der Dirne der Soldat noch derjenige ist, der verführt wird und dann listig die Situation ausnützt, so ist es bei dem Dialog mit dem Stubenmädchen etwas anders. Da das Stubenmädchen gesellschaftlich gesehen doch einen höheren Stand hat als die Dirne und dieser dem des Soldaten nicht so weit unterlegen ist, sind die Normen in dem Dialog doch etwas gehobener. Der Soldat ist derjenige, der das Stubenmädchen verführt und sich anstrengen muss, um es zu erobern. Im Großteil des Dialogs wird auch das Siezen verwendet, wohingegen in der Szene mit der Dirne nur geduzt wird. Die ersten zwei Dialoge markiert im Vergleich zu den restlichen Dialogen im Drama die Kürze, woraus geschlussfolgert werden kann, dass die Kommunikationssituationen bei den niedrigeren gesellschaftlichen Ständen weniger mit Romantik, Verführung und Erobern zu tun hatten und nur als Mittel zum Zweck dienten, um das Ziel, also die sexuelle Befriedung, zu erreichen.

Dass das Stubenmädchen schwerer zu erobern ist, mag auch daran liegen, dass obwohl es selber kein Mitglied einer höheren Gesellschaft ist, es doch im Laufe seiner Arbeit viel Kontakt mit der höheren Schicht hat und dies auch auf sein allgemeines Benehmen, seine Normen und Werte Einfluss hat. Eine weitere interessante Parallele zwischen den beiden Dialogen ist auch das Spiel von Schatten und Licht. Geschlechtsverkehr war etwas, worüber man in der Gesellschaft nicht öffentlich diskutierte. Es war etwas, das hinter geschlossenen Türen im Privaten passierte. Obwohl diese Dialoge die einzigen sind, die draußen spielen,

(29)

kann man dieses Motiv des Versteckens auch hier auffinden. In beiden Dialogen finden die Protagonisten einen Platz im Schatten, in der Dunkelheit, wo sie dann ihren sexuellen Lüsten nachgehen. Der Soldat nützte in beiden Situationen seine Macht dazu aus, um sich ohne Konsequenzen an den Frauen zu befriedigen, im Fall der Dirne, ohne ihr etwas Geld zu geben, und im Fall des Stubenmädchens, ohne es dann noch zu beachten.

3.2 Der junge Herr

3.2.1 Der junge Herr und das Stubenmädchen

Die zweite männliche Figur im Drama ist der junge Herr. Im ersten Dialog tritt er mit dem Stubenmädchen auf. Für das Stubenmädchen ist das ein großer gesellschaftlicher Sprung, da es im vorigen Dialog mit einem gewöhnlichen Soldaten verkehrt, in diesem aber mit jemanden aus dem Bürgertum. Der junge Herr ist wohl situiert und wirkt während des anfänglichen Geschehens etwas gelangweilt, was nicht untypisch für das damalige Bürgertum war, das nicht ums alltägliche überleben kämpfen musste und Zeit hatte, ihren Hobbies nachzugehen und zu entspannen. Zu Beginn wird der junge Herr auch in einer für diese Zeit sehr stereotypischen Situation beschrieben. „Der junge Herr liegt auf dem Divan, raucht, und liest einen französischen Roman.“ (R, 33) Die andere Figur in diesem Teil, also das Stubenmädchen, schreibt überraschenderweise einen Brief an seinen Geliebten, den Soldaten.

Für den Leser ist es ein wenig verwirrend, dass der Soldat trotz seines Benehmens anscheinend sein Geliebter wurde. Leider erfährt man hier keine weiteren Details zu diesem Verhältnis.

Das anfängliche Dialog-Geschehen wirkt komisch, zeigt aber zugleich, wie gelangweilt der junge Herr zu sein scheint.

Das Stubenmädchen.

Bitt' schön, junger Herr?

Der junge Herr.

Ah ja, Marie, ah ja, ich hab' geläutet, ja ... was hab' ich nur ... ja richtig, die Rouletten lassen S' herunter, Marie ... Es ist kühler, wenn die Rouletten unten sind .... ja ....

(Das Stubenmädchen geht zum Fenster und läßt die Rouletten herunter.) Der junge Herr (liest weiter.)

Was machen S' denn, Marie? Ah ja. Jetzt sieht man aber gar nichts zum Lesen.

(R, 33)

Reference

POVEZANI DOKUMENTI

Nach dem_Fall der Berliner Mauer lebte auch das ehemalige Mitteleuropa auf, aber die moderne slowenische bildende Kunst orientierte sich noch lange nach <len

Es ist natOrlich tor das Gehirn eine eminent schwierigere, auch verantwortlichere Arbeit - aber das SelbstbewuBtsein und der kOnstlerische Ehrgeiz beim Erfolg

Die Selbstkritik der Vernunft der ersten Kritik ist nun im Grunde genommen eine breit angesetzte Operation, in der es darum geht, nachzuweisen, dass die von ihrer Begierde

»Bewegungen in der Gesellschaft«. Sie sind konsequent von der R evolution und der Politik sowie von den »K lassengrundlagen« getrennt. Die nsB sind ausgesprochen

Die gesungenen Sätze der Messe machen einen verhältnismäßig bedeutenden Teil des Rituale-Gesangbuches von Medvedics aus. Tabelle 3.) Da es sich aber nur um eine unbe- trächtliche

Eine Durchsicht der ersten Seiten des Millstätter Sakramentars zeigt aber, dass dies in dieser Handschrift nicht so ist. Es handelt sich auch nicht um eine Neume, die

Sowohl auf der Zeichnung im Codex Dupérac als auch auf Matthäus Greuters Kupferstich befindet sich über der Gebälk- zone der kolossalen Säulen und Pilaster, die die Ostseite

Auch wenn sich nicht beweisen lässt, dass die Bischofsgalerie in Schloss Seggau unmittelbar auf Bischof Martin Brenner (1585–1615) zurückgeht, weil die Porträts der Seckauer