• Rezultati Niso Bili Najdeni

3.4 Der Dichter

3.4.2 Der Dichter und die Schauspielerin

Sag', kannst du dich auf ein paar Wochen ganz frei machen?

[...]

Ich hatte es mir schön vorgestellt, mit dir zusammen, allein mit dir, irgendwo in der Einsamkeit draußen, im Wald, in der Natur ein paar Wochen zu leben. Natur .... in der Natur. Und dann, eines Tages Adieu – von einander gehen, ohne zu wissen, wohin.

Das süße Mädel.

Jetzt redst schon vom Adieusagen! Und ich hab' gemeint, daß du mich so gern hast. (R, 78) Er will sich also an ihm sättigen, es für Inspiration und als eine Muse ausnützen und es, wenn es seinen Zweck erfüllt hat, wegschicken. Am Ende verabreden sie sich dann doch vorerst nur für ein weiteres Treffen und der Dichter möchte dem süßen Mädel auch eine Karte fürs Theater schicken, damit es ein Stück von Biebitz sehen kann und es ihm dann beschreiben soll, was es dabei empfand. (vgl. R, 79) Damit will er auch seine Wichtigkeit, seinen Einfluss und im Endeffekt seine Macht zeigen. Aus dem Kontext der gesamten Kommunikationssituation geht hervor, dass er Dichter wahrscheinlich erwartet, dass die Dummheit des süßen Mädels ihn wieder inspiriert, weil es den Text mit seinem begrenzten Weltbild und aus einer einfachen Perspektive verstehen wird. Der Dichter ist also in einer Position des Ruhmes, in einer Position der Macht und er hält es für sein Recht, mit Personen so umzugehen, wie es ihm beliebt, da die meisten ihm sozial und intellektuell unterlegen sind.

3.4.2 Der Dichter und die Schauspielerin

Im nächsten Dialog, wo sich der Dichter mit einer Schauspielerin trifft, verläuft die Situation anders. Es handelt sich hierbei um zwei Menschen aus dem gleichen Bereich, einem mehr

oder weniger gleichen sozialen Stand, wobei der Dichter aber trotzdem die übergeordnete Position hat, da er derjenige ist, der die Welten kreiert, welche die Schauspielerin im Theater ins Leben erweckt. Deswegen ist das Verhältnis in dieser Szene auch viel ebenbürtiger als in der vorigen. Die Schauspielerin sieht den Dichter wie einen Gott, sie betet sogar zu ihm und auch der Dichter sieht die Schauspielerin als etwas Göttliches, als diejenige, die sein Werk ins Leben ruft. (vgl. R, 80–81) Es handelt sich in diesem Dialog um zwei Menschen, die gut mit Worten umgehen können und die mit Worten ihr Brot verdienen. Dieser Dialog ist also nicht nur eine Verführung und es geht nicht nur um das schnelle Geschlechtsverhältnis und die Lust, es ist ein Kampf der Geister, ein Kampf der Sprache.

Schauspielerin.

Jetzt wollen wir uns aber eine gute Nacht sagen! Leb' wohl, mein Schatz!

Dichter.

Wie meinst du das?

Schauspielerin.

Nun, ich werde mich schlafen legen!

Dichter.

Ja, – das schon, aber was das gute Nacht sagen anbelangt .... Wo soll denn ich übernachten?

Schauspielerin.

Es gibt gewiß noch viele Zimmer in diesem Haus.

Dichter.

Die anderen haben aber keinen Reiz für mich. Jetzt werd' ich übrigens Licht machen, meinst du nicht?

Schauspielerin.

Ja. (R, 81–82)

Es tritt auch wieder das Element des Lichtes und der Dunkelheit auf. Auch in diesem Dialog passiert nichts Unsittliches im Licht. Die Schauspielerin verweist den Dichter sogar aus dem Zimmer, damit sie sich in Ruhe umziehen und zurechtmachen kann.

Schauspielerin.

Nein, du sollst jetzt geh'n.

[...]

Dichter.

Ich werde vor dem Fenster auf und abgehen. Ich liebe es sehr, nachts im Freien herumzuspazieren. Meine besten Gedanken kommen mir so. Und gar in deiner Nähe, von deiner Sehnsucht sozusagen umhaucht .... in deiner Kunst webend.

Schauspielerin.

Du redest wie ein Idiot ....

Dichter (schmerzlich).

Es gibt Frauen, welche vielleicht sagen würden .... wie ein Dichter.

Schauspielerin.

Nun geh' endlich. Aber fang' mir kein Verhältnis mit der Kellnerin an. – (R, 82)

Die Stichelei mit der Kellnerin ist ironisch sehr gelungen, da der Dichter noch im vorangegangenen Dialog mit dem süßen Mädel geschlafen hat. Das Licht wird dann auch ausgelöscht, was schon ahnen lässt, dass es bald zum Geschlechtsverkehr kommt. Zum ersten Mal wird im weiteren Geschehen auch ganz offen über das Fremdgehen gesprochen, ohne große Scheinheiligkeit, Sünde, Vorwürfe und Sorgen. Obwohl die beiden dem Bürgertum angehören, teilen sie doch nicht alle konservativen Werte der Gesellschaft. Die Künste waren schon damals, wie auch heute, eine viel liberalere Sphäre.

Schauspielerin.

Nun, wem bist du in diesem Moment untreu?

Dichter.

Ich bin es ja leider noch nicht.

Schauspielerin.

Nun, tröste dich, ich betrüge auch jemanden.

Dichter.

Das kann ich mir denken.

Schauspielerin.

Und was glaubst du, wen?

[...]

Dichter.

Also du betrügst deinen Kollegen ... Benno – Schauspielerin.

Ha! Der Mann liebt ja überhaupt keine Frauen .... weißt du das nicht? Der Mann hat ja ein Verhältnis mit seinem Briefträger!

Dichter.

Ist das möglich! – (R, 83)

Interessant ist, dass auch ein homosexuelles Verhältnis erwähnt wird. Homosexualität war damals noch nicht legal. Homosexuelle Männer arbeiteten vor allem in den Künsten, also als Schauspieler, Schriftseller, Maler usw., wo sie mehr Akzeptanz fanden als in anderer sozialer und gesellschaftlicher Umgebung. Während die Schauspielerin das nicht als etwas Sensationelles ansieht, scheint der Dichter doch etwas schockierter zu sein und kann es nicht glauben. Sein Schock wird aber schnell durch das Angebot der Schauspielerin, ob er sich

denn nicht zu ihr ins Bett legen will, vergessen. Sie stichelt ihn noch etwas mit Kosenamen an und fragt vor dem Geschlechtsverkehr noch einmal, wen sie wohl betrüge, woraufhin der Dichter antwortet, dass sie ihn selbst betrügt. Ihre Reaktion, dass er ein Hirnleiden hat, lässt ahnen, dass die Sticheleien auch nur Sticheleien sind und sie in ihn verliebt ist.

Es kommt zum Geschlechtsverkehr, welcher vorerst aber nicht viel an dem Verhältnis ändert.

Sie sticheln noch immer einander und jeder versucht den anderen mit geschickt ausgewählten Worten aus dem Gleichgewicht zu bringen. (vgl. R, 84–85) Das Machtverhältnis zwischen den beiden Geschlechtern ist in diesem Dialog anders als bisher, da beide auf dem gleichen Niveau sind und zumindest auf den ersten Blick ebenbürtig zu sein scheinen. Die Schauspielerin sagt die meiste Zeit nicht direkt, was sie meint und das Zimmer ist ihr Theater, das Bett ihre Bühne. Sie spielt die ganze Zeit etwas vor und versucht mit ihren Sticheleien und vorgetäuschten Abweisungen beim Dichter das Interesse an ihr aufrecht zu erhalten. Der Dichter bleibt ihr am Ende aber nichts schuldig und gibt zu, sie nicht im Theater gesehen zu haben. (vgl. R, 86) Nach dieser letzten Stichelei fällt die Fassade der Schauspielerin und sie gibt zu, den Dichter zu lieben. Der hat ihr gut zugehört und sich ihre Sticheleien gemerkt und verwendet jetzt ihre eigenen Worte und Sticheleien gegen sie.

Betrachtet man mit der neuen Gewissheit den gesamten Dialog, könnte man das Benehmen der Schauspielerin einerseits auch als kindisch ansehen. Wie Kinder, die einander hänseln, weil sie sich mögen. Andererseits spielt aber auch ihr Stolz eine Rolle. Sie ist eine starke, angesehene, unabhängige weibliche Figur, die sich vor niemanden rechtfertigen muss, findet sich aber jetzt in einer Situation, in welcher sie mit jemanden zu tun hat, den sie liebt und verehrt. Wäre sie offen mit ihren Gefühlen gewesen, hätte es für den Dichter nicht diesen Reiz des Kampfes gegeben und sie würde nur eine weitere seiner Verehrerinnen sein. Sie wollte aber von der Masse der Frauen, die ihn kennen und verehren, hervortreten und ihn herausfordern. Gerade wegen ihrer starken Gefühle und den damit verbundenen Reaktionen, war sie aber auf einen Misserfolg verdammt. Am Ende ist der Dichter also der überlegene Wortschmied. Der Dialog endet mit einer Frage des Dichters nach dem ehemaligen Geliebten der Schauspielerin und ihrer Reaktion, dass er nicht über ihn sprechen soll. (vgl. R, 87) Dieses abrupte Ende und das Ablenken der Aufmerksamkeit auf eine nicht anwesende Figur, lässt ahnen, dass es nicht zu einer Beziehung zwischen Dichter und Schauspielerin kommen wird, sondern es nur bei einem Verhältnis bleibt. Die Schauspielerin ist eine Muse für den Dichter und er ihr göttlicher Schaffer. Sie sind verbunden in der Kunst, aber nicht in beidseitigen tieferen Emotionen.

***

Vergleicht man die beiden Dialoge, ist der Dichter bisher die Figur, die in beiden Teilen die größte Diskrepanz aufweist. Im ersten Dialog ist er noch ein fast arroganter Mann, der das junge süße Mädel als ein Mittel zum Zweck sieht, nicht annähernd als eine echte Geliebte oder Ebenbürtige. Im zweiten Dialog muss er für seine am Ende doch überlegene Position kämpfen. Er wird von der Schauspielerin mehrmals auch in seiner dichterischen Ehre verletzt, nimmt es aber hin, weil er das ganze Geschehen mehr als eine geistig reizvolle „Verführung“

ansieht und nicht nur als die Lust zum Körperlichen und als Inspiration durch die geistige Leere, die er beim süßen Mädel empfand. Der Dichter fungiert im ersten Dialog also vor allem aus einer überlegener Position der Macht, sowohl im sozialen als auch im intellektuellen Sinne. Er sättigt seine Inspiration an der jugendlichen Unwissenheit des süßen Mädels, was auch seine sexuellen Lüste weckt, welche er ebenso befriedigt. Er zeigt seine Wichtigkeit und Überlegenheit auch mit Karten fürs Theater und will das süße Mädel wiedersehen. Das süße Mädel ist also, wie die Schauspielerin auch, eine Art Muse für den Dichter. Müsste man den Dichter nur in Bezug auf den ersten Dialog beschreiben, kann man vor allem feststellen, dass er zwar physisch im Raum war, geistig aber oft in seiner eigenen Welt der Kreativität schwebte. Konnte er sich das bei einer mental unterlegenen Frau, wie dem süßen Mädel noch leisten, so musste er beim Treffen mit der Schauspielerin auch geistig anwesend sein. Diese war für ihn nicht nur eine Muse, sondern auch ein ebenbürtiger mentaler Kontrahent. Die Schauspielerin verlor am Ende zwar den Kampf der Wörter, zeigte jedoch, dass sie eine kreative Macht besitzt. Der wahre Reiz im zweiten Dialog war also das Spiel der Wörter. Interessant in diesen zwei Dialogen ist aber auch der Aspekt der Sexualität, denn in keinem der beiden Szenen steht der Geschlechtsverkehr im Mittelpunkt. Der Reiz und das wahre Vergnügen liegen für den Dichter auf der mentalen Ebene und die körperlichen sexuellen Lüste sind nur ein Nebenprodukt.