• Rezultati Niso Bili Najdeni

3.5 Der Graf

3.5.1 Der Graf und die Schauspielerin

Vergleicht man die beiden Dialoge, ist der Dichter bisher die Figur, die in beiden Teilen die größte Diskrepanz aufweist. Im ersten Dialog ist er noch ein fast arroganter Mann, der das junge süße Mädel als ein Mittel zum Zweck sieht, nicht annähernd als eine echte Geliebte oder Ebenbürtige. Im zweiten Dialog muss er für seine am Ende doch überlegene Position kämpfen. Er wird von der Schauspielerin mehrmals auch in seiner dichterischen Ehre verletzt, nimmt es aber hin, weil er das ganze Geschehen mehr als eine geistig reizvolle „Verführung“

ansieht und nicht nur als die Lust zum Körperlichen und als Inspiration durch die geistige Leere, die er beim süßen Mädel empfand. Der Dichter fungiert im ersten Dialog also vor allem aus einer überlegener Position der Macht, sowohl im sozialen als auch im intellektuellen Sinne. Er sättigt seine Inspiration an der jugendlichen Unwissenheit des süßen Mädels, was auch seine sexuellen Lüste weckt, welche er ebenso befriedigt. Er zeigt seine Wichtigkeit und Überlegenheit auch mit Karten fürs Theater und will das süße Mädel wiedersehen. Das süße Mädel ist also, wie die Schauspielerin auch, eine Art Muse für den Dichter. Müsste man den Dichter nur in Bezug auf den ersten Dialog beschreiben, kann man vor allem feststellen, dass er zwar physisch im Raum war, geistig aber oft in seiner eigenen Welt der Kreativität schwebte. Konnte er sich das bei einer mental unterlegenen Frau, wie dem süßen Mädel noch leisten, so musste er beim Treffen mit der Schauspielerin auch geistig anwesend sein. Diese war für ihn nicht nur eine Muse, sondern auch ein ebenbürtiger mentaler Kontrahent. Die Schauspielerin verlor am Ende zwar den Kampf der Wörter, zeigte jedoch, dass sie eine kreative Macht besitzt. Der wahre Reiz im zweiten Dialog war also das Spiel der Wörter. Interessant in diesen zwei Dialogen ist aber auch der Aspekt der Sexualität, denn in keinem der beiden Szenen steht der Geschlechtsverkehr im Mittelpunkt. Der Reiz und das wahre Vergnügen liegen für den Dichter auf der mentalen Ebene und die körperlichen sexuellen Lüste sind nur ein Nebenprodukt.

3.5 Der Graf

3.5.1 Der Graf und die Schauspielerin

Die letzte männliche Figur im Drama ist der Graf. Vom einfachen Soldaten, über den jungen Herrn, den bürgerlich konservativen Gatten und berühmten Dichter stieg man also ganz auf die Spitze der sozialen und gesellschaftlichen Leiter und somit an die Spitze der Macht, zum Adel. Obwohl der Adel, vor allem der niedere Adel, in dieser Zeit schon Vieles an der einstigen Macht verlor, verkörpert der Graf trotzdem die oberste Schicht jener Zeit.

Interessanterweise sieht man beim Grafen noch eine größere Diskrepanz zwischen den zwei Frauen, mit denen er auftritt, als bei dem Dichter. Im ersten Teil führt er einen Dialog mit der Schauspielerin, also mit der am höchsten positionierten weiblichen Figur im Drama, im zweiten Dialog hingegen tritt er aber mit der Dirne auf, der Frauenfigur mit dem niedrigsten gesellschaftlichen Stand.

Der erste Dialog spielt im Zimmer der Schauspielerin, in dem die Rouletten runtergelassen sind. Wieder kommt das Motiv der Dunkelheit und des Versteckens vor. Da diese Dunkelheit schon vor dem Geschehen vorkommt, lässt sie erahnen, dass der Besuch des Grafen an sich nicht am angebrachtesten war. Der Graf betritt das Zimmer in einer militärischen Uniform eines Dragonerrittmeisters. Wie bereits im Aspekt des gesellschaftlichen Einflusses beschrieben, war das Militär damals sehr populär und angesehen und so erhielt auch der Adel mehr oder weniger ehrenamtliche Militärtitel. Der vom Adel geleistete Militärdienst war jedoch nicht vergleichbar mit dem von gewöhnlichen Soldaten. Der Graf sagt der Schauspielerin, seine Mutter hätte ihn erzählt, dass sie sich nicht wohl fühle und schmeichelt ihr zugleich mit dem gestrigen Auftritt. Die Schauspielerin schmeichelt auch dem Grafen und sagt, sie habe nur seine Blumen mitgenommen und küsst auch seine Hand, sagt aber sofort auch, dass ihn das zu nichts verpflichte. (vgl. R, 88–89) Der Graf erzählt über seinen Dienst in Ungarn und über die Schönheit der Landschaft und der Sonnenuntergänge. Er ist ein Träumer und wie er selber sagt, auch ein wenig ein Philosoph, da er zu viel Zeit hat und dann auch viel nachdenkt. Er vergleicht Ungarn mit Wien und sagt: „Aber in Wien grad' so! Die Menschen sind überall dieselben; da wo mehr sind, ist halt das Gedräng' größer, das ist der ganze Unterschied. Sagen S' Fräulein, haben Sie die Menschen eigentlich gern?“ (R, 90), was eine sehr idealisierte Auffassung ist. Der Graf, ein Vertreter des Adels, also der Struktur, die am meisten an die alte Weltordnung halten sollte, wird hier als ein sehr weltoffener, liberaler Denker dargestellt. Sie sprechen noch über die Liebe und der Graf meint, es sei immer wer da, der einen gern hat, er aber an die Liebe nicht glaubt. Dann fängt die Schauspielerin an ihn noch intensiver zu verführen. Nicht nur mit Fragen, sondern auch mit Taten und meint, sie habe nur für ihn gespielt. (vgl. R, 91–92) Für die Schauspielerin ist jede private Begegnung also auch ein neuer Auftritt. So wie sie den Dichter ständig etwas vorspielte, so spielt sie jetzt den Grafen etwas vor und gibt ihr wahres Ich nicht preis. Sie besitzt als eine schöne berühmte Schauspielerin sexuelle und verführerische Macht und damit entwaffnet sie ihn auch: „So schnallen Sie doch wenigstens Ihren Säbel ab!“ (R, 93)

Es kommt zum ersten Mal vor, dass der Mann derjenige ist, der eine Ausrede sucht und unerreichbar zu sein versucht. Dieses Zögern kann man vor allem im Aspekt des

gesellschaftlichen Einflusses finden. Er ist nicht nur Teil des Adels, was in sich schon ein höheres Maß an Selbstkontrolle und Sittlichkeit verlangt, sondern ist dazu noch Offizier.

Beide Rollen stellen ihn eigentlich auf eine Position, in welcher er es gewohnt ist, den Normen und Werten der Gesellschaft zu folgen. Darüber hinaus ist er noch ein Philosoph, ein Denker und obwohl man im Zitat, wo er über Genuss und Rausch spricht, auch ein gewisses Maß an Dekadenz auffinden kann, versucht er eine Sittlichkeit, die seinem Stand entspricht, beizubehalten. Die Schauspielerin ist aber sehr beharrlich und zwingt den Grafen fast auf sich, bis der sich nicht mehr zur Wehr setzt und es zum Geschlechtsverkehr kommt. In diesem Teil geschieht es zum ersten Mal, dass eine männliche Figur sich nicht so einfach der Lust hingibt, sondern sich wegen gesellschaftlich-moralischer Gründe gegen die Versuchung zu wehren scheint. Der Kampf war aber zum Scheitern verurteilt, da die Schauspielerin den Grafen entwaffnet hat, sie war also in der überlegenen Machtposition und bekam genau das, was sie wollte. Nach dem Geschlechtsverkehr ist sie begeistert und sagt, dass der Graf weiß, was die Frauen wollen. Sie meint auch, dass sie ihn nie mehr wiedersehen möchte, da er sie jetzt, als es vorbei ist, einfach verlässt und sich am Abend, obwohl er es früher noch wollte, jetzt nicht mehr treffen will. Jedoch kann man ihre Worte nur als eine neue Vorstellung verstehen. Sie versucht den Graf dazu zu bringen, dass er ihr eine Sicherheit gibt.

Graf.

Das hätte keinen rechten Sinn.

Schauspielerin.

Du Greis!

Graf.

Du verstehst mich nicht recht. Ich mein' das mehr, was, wie soll ich mich ausdrücken, was die Seele anbelangt.

Schauspielerin.

Was geht mich deine Seele an? (R, 95)

Die Schauspielerin hat wenig Interesse an dem, was er zu sagen hat und hat nur das körperliche Vergnügen im Kopf, nur die sexuellen Lüste. Sie ist sehr streng und dominant und lässt sich nicht von einem jungen Grafen an der Nase herumführen. Sie zeigt deutlich, wer in diesem Verhältnis derjenige mit der verführerischen und sexuellen Macht ist. Obwohl der Graf ihr theoretisch übergeordnet ist, ist sie doch diejenige, die die Entscheidungen trifft und der Graf kann nicht anders, als am Ende nachzugeben.

Schauspielerin.

Hier in meiner Wohnung wirst du mich erwarten – [...]

Graf.

Ich denke, es ist Zeit, daß ich geh'. Für einen Anstandsbesuch bin ich doch eigentlich schon ein bissel lang' geblieben.

Schauspielerin.

Nun, heut abend soll es kein Anstandsbesuch werden. (R, 96)

Man sieht also, dass ihr Benehmen am Ende weniger etwas mit Verführung zu tun hat, sondern mehr mit Herumkommandieren. Die Machtpositionen in diesem Dialog sind vollkommen anders als in den anderen. Ein Grund dafür mag wohl auch darin liegen, dass die Schauspielerin eine angesehen und dominante Frauenfigur darstellt und der Graf einen Denker und Philosophen. Trotz seiner offensichtlichen Erfahrungen beim Geschlechtsverkehr, scheint er nicht eine Figur zu sein, die eine Macht im sexuellen Aspekt aufweisen würde.

Seine Macht ist also nur mit seinem Titel und Rang verbunden, welche aber in dieser Situation des Privaten nicht maßgebend sind. Obwohl es stellenweise scheint, als würde er gehen wollen und als ob er mit der Situation nicht zufrieden wäre, sagt er doch zu, am Abend wieder zu kommen. In seiner Dekadenz genießt er also den Rausch mit einer solchen Frau zu verkehren.