• Rezultati Niso Bili Najdeni

3.2 Der junge Herr

3.2.2 Der junge Herr und die junge Frau

Im nächsten Dialog tritt der junge Herr mit der jungen Frau auf. Es treten also zum ersten Mal zwei Personen aus dem gleichen Stand auf, wobei es scheint, dass die junge Frau trotzdem aus einem besseren Haus stammt als er. Dies wird am Ende dieser Analyse näher erläutert.

Ungeachtet dessen, ist aber trotzdem der junge Herr in Bezug auf die gesellschaftliche Macht in einer übergeordneten Position. Diese ist bei diesem Dialog aber nicht maßgebend, da es sich um eine private Situation handelt, um eine verbotene Situation, die vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt bleiben muss. Zum ersten Mal ist der Mann in einer untergeordneten Rolle, in der er nicht einfach Macht und Position nutzen kann, um das zu erreichen, was er will. Er muss beim Erobern einer Frau aus dem höheren Bürgertum viel mehr Einsatz zeigen, viel mehr Charme, Geschick und Kreativität. Wenn man den vorangegangenen Dialogen, mit den niedrigeren Ständen, noch ein sehr schnelle Entwicklung von Ereignissen nachreden konnte, so ist dieser Dialog viel langsamer und weist auf die Rigidität der Normen der höheren Stände hin, die nicht nur in der Öffentlichkeit vorkommen, sondern auch ins Private überfließen. Der Dialog fängt mit einer langen Beschreibung an, in der der junge Herr den Raum vorbereitet, überall das Parfum sprüht und ungeduldig auf die Ankunft der jungen Frau wartet. (vgl. R, 38) Wie bereits in allen früheren Dialogen, hat auch dieser Dialog viele Motive, die auf das Verstecken vor der Gesellschaft hindeuten: Das erneute Motiv des verdunkelten Zimmers, in das sie später gehen, die Kleidung der jungen Frau, die ganz verschleiert und unerkennbar eintritt, und ihre Sorgen, von jemanden gesehen zu werden. Es lässt also ahnen, dass dieses Treffen nicht angebracht ist, was der Dank des jungen Herrn auch teilweise bestätigt. (vgl. R, 39) Als der junge Herr dann will, dass die junge Frau ein wenig näher kommt und einige Sachen abnimmt, möchte diese das vorerst nicht.

Der junge Herr.

Wollen Sie nicht ein bischen näher?.... Und Ihren Hut legen Sie doch wenigstens ab!

Die junge Frau.

Was fällt Ihnen ein, Alfred? Ich habe Ihnen gesagt: Fünf Minuten .... Nein, länger nicht .... ich schwöre Ihnen –

Der junge Herr.

Also den Schleier – Die junge Frau.

Es sind zwei.

Der junge Herr.

Nun ja, beide Schleier – ich werde Sie doch wenigstens sehen dürfen. (R, 39–40)

Der junge Herr ist in einer untergeordneten Situation, denn er muss sogar darum bitten, die junge Frau überhaupt sehen zu dürfen. Bei diesem Dialog kann man Parallelen zum zweiten Dialog ziehen, also zu dem Dialog mit dem Stubenmädchen und dem Soldaten. Auch da fragt das Stubenmädchen den Soldaten, ob er sie gerne hat und er antwortet ihr einmal, wirkt später aber von der erneuten Frage genervt. (vgl. R, 31) Hier muss aber der junge Herr der jungen Frau beweisen, dass er sie gerne hat, obwohl es wiederum die Frau ist, welche die Frage stellt.

Die junge Frau.

Haben Sie mich denn lieb, Alfred?

Der junge Herr (tief verletzt).

Emma – Sie fragen mich ....

[...]

Erlauben Sie: (Er nimmt ihr die Schleier ab; nimmt die Nadel aus ihrem Hut, legt Hut, Nadel, Schleier beiseite).

Die junge Frau (läßt es geschehen).

Der junge Herr (steht vor ihr, schüttelt den Kopf).

Die junge Frau.

Was haben Sie?

Der junge Herr.

So schön waren Sie noch nie.

Die junge Frau.

Wieso?

Der junge Herr.

Allein .... allein mit Ihnen – Emma – (Er läßt sich neben ihrem Fauteuil nieder, auf ein Knie, nimmt ihre beiden Hände und bedeckt sie mit Küssen).

Die junge Frau.

Und jetzt .... lassen Sie mich wieder gehen. Was Sie von mir verlangt haben, hab' ich getan.

(R, 40)

Trotz seiner Versuche, sie zu verführen, wirkt die junge Frau vorerst etwas distanzierter als es der Fall in den vorigen drei Dialogen war. Sie sagt mehrere Male, dass sie jetzt geht, womit sie den jungen Herrn noch mehr dazu anspornt, sie zu erobern. Sie küssen sich und sie bleibt dann bei ihm. Ist es wegen der Erregung des Verbotenen oder wegen echter Emotionen? Die junge Frau sagt noch: „Oh nein, es ist schändlich ... von mir. Ich begreife mich selber nicht.

Adieu, Alfred, lassen Sie mich.“ (R, 41) Später, als sie über den Ball sprechen, erwähnt der junge Herr, eher aus Versehen als mit Absicht, den Ehemann der jungen Frau. Da es sich um eine Affäre handelt, macht das Verbotene und das Geheime die Situation noch spannender

und reizvoller. Trotz des langen „Vorspiels“, ist die junge Frau noch immer nicht ganz überzeugt, dass sie sich auf etwas Sexuelles einlassen soll. Der junge Herr scheint auch nachzugeben und sagt:

Der junge Herr.

Ich will Ihnen etwas sagen, Emma. Wenn Sie sich schämen, hier zu sein – wenn ich Ihnen also gleichgültig bin – wenn Sie nicht fühlen, daß Sie für mich alle Seligkeit der Welt bedeuten – – so geh'n Sie lieber. –

Die junge Frau.

Ja, das werd' ich auch tun.

Der junge Herr (sie bei der Hand fassend).

Wenn Sie aber ahnen, daß ich ohne Sie nicht leben kann, daß ein Kuß auf Ihre Hand für mich mehr bedeutet, als alle Zärtlichkeiten, die alle Frauen auf der ganzen Welt .... Emma, ich bin nicht wie die anderen jungen Leute, die den Hof machen können – ich bin vielleicht zu naiv ....

ich .... (R, 43)

Sein Nachgeben war also nur ein weiterer Versuch, sie zu überzeugen. Als Worte aber nicht ausreichen und sie auf den Trick der umgekehrten Psychologie nicht eingeht, greift er auch physisch ein und hält ihre Hand. Bevor er sie später dann doch ins Zimmer zieht, sieht man wieder das Motiv des dunklen Raums, der Dunkelheit, die das Sexuelle verbirgt. Interessant ist auch, dass je näher der Geschlechtsverkehr rückt, desto mehr sich die gesellschaftlichen Normen auflösen.

Die junge Frau.

Sie sind so .... oh Gott, was machen Sie aus mir! – Alfred!

Der junge Herr.

Ich bete dich an, Emma!

Die junge Frau.

So wart' doch, wart' doch wenigstens .... (Schwach.) Geh' .... ich ruf dich dann.

Der junge Herr.

Laß mir dich – laß dir mich (er verspricht sich) .... laß .... mich – dir – helfen.

Die junge Frau.

Du zerreißt mir ja alles.(R, 44)

Aus der Höflichkeitsform Sie, kommt es also schnell zum Du und der junge Herr ist so nervös, dass er sich nicht mal mehr kohärent ausdrucken kann. Was folgt, verdeutlicht und verstärkt noch die untergeordnete Position des jungen Herren in diesem Teil. Zum Geschlechtsverkehr kommt es in diesem Moment noch nicht, weil der junge Herr es nicht schafft eine Erektion zu bekommen.

Der junge Herr.

Ich habe dich offenbar zu lieb .... ja .... ich bin wie von Sinnen.

Die junge Frau ...

Der junge Herr.

Die ganzen Tage über bin ich schon wie verrückt. Ich hab es geahnt.

Die junge Frau.

Mach' dir nichts draus.

Der junge Herr.

Oh gewiß nicht. Es ist ja geradezu selbstverständlich, wenn man ....

Die junge Frau.

Nicht .... nicht .... Du bist nervös. Beruhige dich nur ....

(R, 45)

Die junge Frau spielt es runter, während der junge Herr anfängt Geschichten über Stendhal und die Kavallerie-Offiziere zu erzählen. Die junge Frau ist etwas ironisch und macht sich zwischen den Zeilen auch über den jungen Herrn lustig. Der Mann wurde in diesem Dialog gewissermaßen „entmännlicht“, sei es wegen seiner Aufregung oder weil er so begeistert war von der jungen Frau. Er konnte den sexuellen Akt nicht auf konventionelle Weise ausführen und die junge Frau nicht wirklich befriedigen. Diese scherzt dann, dass sie nicht mehr als Kammeraden sein können. Ihre übergeordnete Position im sexuellen Sinne bestätigt sie noch damit, dass sie ihn anderswie befriedigt. „... Ich will dir noch einen Kuß zum Abschied geben ... Pst .... ruhig .... nicht rühren, hab ich gesagt, sonst steh ich gleich auf, du mein süßer ...

süßer ... Der junge Herr. Emma .... meine ange...“ (R, 48) Es wird also darauf angespielt, dass die junge Frau den jungen Herrn oral befriedigt hat. Bald nachdem fragt sie nach der Zeit und ist sehr geschockt, wie spät es schon sei und dass sie schnell gehen muss. Die junge Frau überlegt noch, wann sie sich wiedersehen, woraufhin der junge Herr meint, sie werden sich schon am nächsten Tag wieder treffen. Die junge Frau wirkt zwar, als wäre sie davon nicht wirklich begeistert, sagt aber auch nicht streng ab. Es scheint, es liegt auch in ihrem Interesse sich wieder mit dem jungen Herrn zu treffen. (vgl. R, 48‒49) Frage, die man sich als Leser stellen kann, ist, ob es sich hier um eine flüchtige Affäre handelt oder ob es zu einem wahren und andauernden Verhältnis kommen wird? Am Ende dieses Dialogs sagt der junge Herr noch

„Also jetzt hab' ich ein Verhältnis mit einer anständigen Frau.“ Wegen des Standes und – wahrscheinlich auch – Alters, sieht er sie als eine anständige Frau; das Stubenmädchen hingegen war für ihn nur ein Spielzeug.

Wie bereits erwähnt, ist die junge Frau, so wie er, Teil des Bürgertums, wobei sie wahrscheinlich aus einem besseren Hause kommt. Einerseits sieht er dieses Verhältnis und die

junge Frau als eine Trophäe, andererseits war er von ihr auch wirklich begeistert. Dass er sich so viel Mühe geben muss und er nicht nur mit einem Blick und zwei netten Worten erreicht, was er wollte, war für ihn eine Herausforderung und ein Erfolg zugleich. Er hat es erreicht, eine Frau, die ihm im Vorspielgespräch auf Momente überlegen war, zu verführen.

***

Der junge Herr unterscheidet sich in vielen Hinsichten von der vorigen männlichen Figur, dem Soldaten. Das kann man vor allem seinem gesellschaftlichen Stand zuschreiben. Die höheren gesellschaftlichen Schichten legten mehr Wert auf gehobene Normen und ein angebrachtes Verhalten, das sich auch in der Privatsphäre widerspiegelte. Wenn das Ziel des Soldaten nur die schnelle Befriedigung seiner sexuellen Lüste war, sieht man, dass der junge Herr anders vorgeht. Er ist viel langsamer und sanfter und zeigt mehr Emotionen. Die sexuelle Befriedigung ist zwar sein Ziel, jedoch musste er auch die Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht wird, ändern, damit er die junge Frau erobern konnte. So macht den Schwerpunkt des Geschehens im Dialog mit der jungen Frau die Eroberung aus, die sich durch Worte und Taten zeigt, und nicht nur der Geschlechtsverkehr am Ende. Auch gegenüber dem Stubenmädchen, obwohl es nur ein schnelles Vergnügen war, zeigte er sich weniger chauvinistisch als der Soldat, und bat ihm das, was es vom Soldaten wollte, aber nicht bekam

‒ mehr feines Benehmen, gehobene Normen, ein Ideal einer höheren Gesellschaft, welcher es nicht angehört. Der junge Herr an sich ist ein Oxymoron. Trotz seines Alters und seiner Unerfahrenheit, wird angedeutet, dass er schon mit mehreren Frauen ein Verhältnis oder zumindest schnellen Geschlechtsverkehr hatte. Er wirkt stellenweise trotzdem ungeschickt und die erfahrenere junge Frau hat in mehreren Aspekten eine Übermacht. Vor allem das rhetorische Geschick und die sexuelle Erfahrung der jungen Frau sind dem jungen Herrn überlegen. Obwohl er eine öffentliche sozialgesellschaftliche Macht besitzt, die die junge Frau nicht hat, handelt es sich in solchen Situationen aber um die Macht in der Privatsphäre, in der ihm die junge Frau überlegen ist. Bei dem Dialog mit der jungen Frau handelt es sich auch um ein Skandalverhältnis mit einer verheirateten Frau. Gerade diese Eroberung einer

„verbotenen Frau“, welche nicht nur aus einem besseren Hause kommt, sondern sich auch im Privaten als eine starke und nicht einfach zu beinflussende Kontrahentin zeigte, gibt dem jungen Herrn noch mehr Stolz auf seine „neue Trophäe“. Betrachtet man die Länge des Vorspiels, so sind sich die beiden Dialoge ähnlich und dauern viel länger, als beim Soldaten, wohingegen das Ende des Dialoges mit dem Stubenmädchen ähnlich abrupt kommt, wie das in den zwei Dialogen mit dem Soldaten üblich war. Anders hingegen ist es bei der jungen

Frau. Da ist die Frau diejenige, die nach dem Geschlechtsverkehr den Mann schnell verlassen will, obwohl es da nicht so plötzlich passiert und vor dem Verlassen noch Pläne gemacht werden, wann man sich wiedersieht. Ob sich die Pläne erfüllen oder nicht, bleibt offen, doch bereits das Schmieden eines neuen Treffens verweist auf andere Normen und Werte, wo man viel höflicher miteinander umgeht und sich auch täuscht, um einen Schein einer gesitteten Welt beizubehalten.