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Was Männlichkeit in der Forschung bedeutet, wurde in der Geschichte verschieden definiert, meist aber ging es um ein traditionelles Verständnis der Geschlechterrollen. Die Anfänge der Männlichkeitsforschung in Deutschland werden erst in den späten 1970er und 1980er Jahren angesetzt, wobei diese nach Erhart noch in den 1990er Jahren weit von jeglicher akademischer Partizipation entfernt waren und sich eher auf die sozialpsychologische Belletristik und autobiografisch orientierte Erfahrungsbereiche beschränkten.11

Eher außerhalb und an den Rändern der Wissenschaft entwickelte sich in den 1970er und 1980er Jahren eine gesellschaftliche (Männer-)Bewegung, deren Ausgangspunk die Kritik und die mögliche Veränderung der traditionellen Männerrollen und der männlichen Selbstbilder waren. In den USA und in Großbritannien hat diese Bewegung unter dem Begriff „Men's Studies“ bereits in den späten 1970er Jahren auch akademische Aufmerksamkeit erlangt und eine in diesem Sinn „kritische“ Männlichkeitsforschung initiiert [...] In Deutschland beschränkte sich di Diskussion einer kritischen „Männerforschung“ noch in den 1980er Jahren überwiegend auf den Bereich der Populärwissenschaften, [...].12

Ein wichtiger Text aus der Frühphase der Männlichkeitsforschung ist sicherlich die Studie von Klaus Theweleit Männerphantasien aus dem Jahr 1980. In dieser Studie, die sich zwar eher auf die Zwischenkriegsjahre fokussiert und auf Dokumenten, Briefen, Selbstzeugnissen und literarischen Texten basiert, versuchte Theweleit eine normale13 psychische Struktur der Männlichkeit zu finden. Die Studie fand auch in der Literaturwissenschaft ihren Platz, obwohl der Schwerpunkt der Studie eher psychoanalytisch als literaturwissenschaftlich ist. Dies ist aber bei Themen, die sich innerhalb der Literatur mit den gesellschaftlichen Konzepten befassen, oft der Fall. Literatur ist viel mehr als eine Geschichte mit schön konstruierten Motiven und einer Moral am Ende. Wenn man Werke tiefer analysiert und nach sozialen

11 Vgl. Walter Erhart (2015): Deutschsprachige Männlichkeitsforschung. In: Stefan Horlacher/Bettina Jansen/Wieland Schwanebeck (Hrsg.): Männlichkeit. Stuttgart: Metzler, S. 12–13.

12 Ebd., S. 12.

13 Das Wort „normal“ wird hier verwendet, um die Ziele der Studie besser zu verdeutlichen, obwohl schon erwähnt wurde und es noch weiterhin erläutert wird, dass etwas wie Normalität in einer Frage wie Geschlechterrollen sehr schwer zu definieren ist und man heute eigentlich nicht mehr über Normalität spricht.

Elementen sucht, kann man nicht nur innerhalb der Geschichte und des Buches suchen, sondern man muss den Blick viel weiter ausbreiten und auf die Einflüsse der Zeit und der Gesellschaft, auf die Denkweisen und auch auf den Verfasser des Geschriebenen achten. Das ist auch der Grund, weshalb auch Literatur, die vor hunderten von Jahren geschrieben wurde, noch immer einen Wert in der heutigen Zeit hat und man deshalb einige Werke immer wieder aus neuen Blickrichtungen analysieren kann. Mit der Entwicklung verschiedener Ansätze zur Analyse, eröffnen sich auch neue Möglichkeiten der Interpretation. Die Männlichkeitsforschung ist ein relativ neuerer Ansatz, der nicht nur durch die Literaturwissenschaft geprägt wurde, sondern durch ganz viele Wissenschaften, wie man bei Theweleits psychoanalytischen Ansatz zur Forschung gut sehen kann. In den 1990er Jahren erscheinen zahlreiche Publikationen, die sich mit der Geschichte der Männlichkeitsformen und Identitäten beschäftigen. Faszinierend ist, dass sich die Männlichkeitsforschung in dieser Zeit in viele verschiedene Richtungen verzweigt. So untersucht man sowohl die historischen Aspekte, bei denen man keine konsistente Linie der Männlichkeitsform verfolgen kann, sowie auch soziologische Aspekte, die oft auch Unterschiede und Wiedersprüche zwischen den Leitbildern und den gelebten Praktiken aufzeigen. Es handelt sich also um eine Pluralität der Männlichkeit, die man auch später bei der Analyse der Figuren gut verdeutlichen kann.

Reawyn Connel hat 1995 in ihrem einflussreichen, 1999 in deutscher Übersetzung erschienenen Buch Masculinities den Begriff der „hegemonialen Männlichkeit“ geprägt und dadurch zugleich zahlreche davon abweichende und „marginalisierte“ Männlichkeiten in den Blick gerückt. Davon ausgehend und darüber hinaus hat der Soziologe Michael Meuser den Habitus-Begriff von Pierre Bourdieu ins Spiel gebracht, um das Verhältnis von hegemonialer Männlichkeit und ihren vielfältigen Varianten genauer bestimmen zu können.14

Der Grund für diese Pluralität ist auch in den sozialen Strukturen zu suchen. Die Leitbilder entsprechen nur selten der Masse. In der selben Zeit, also in den 1990er Jahren, kommt es mit Judith Butler auch zu einer Umstellung im Denken zu sex und gender, also zum biologischen und soziokulturellen Geschlecht, wobei auch hier die Debatte noch viel breiter ist und es auch im Sinne vom biologischen Geschlecht keine Dualität gibt. Damit begann auch die Auflösung einer sicheren Männlichkeit, die davor noch ganz geschichtlich offen definiert schien und sich in der politischen und sozialen Repräsentation widerspiegelte.

14 Ebd., S. 15.

Die Auflösung der Kategorie „Männlichkeit“ begann aus diesem Grund mit der Infragestellung ihrer Selbstverständlichkeit. Während die Geschichte der Frauen erst mühsam entdeckt werden musste, lag die Geschichte der Männer scheinbar offen zutage: seit jeher öffentlich sichtbar, in sozialen und politischen Repräsentationen immer schon manifest. In dem Maße, wie die verborgenen Geschichten, die verborgenen Text und die verborgenen Identitäten von Frauen zum Vorschein kamen, schien sich die Kategorie des „Mannes“ und der „Männlichkeit“ dabei nicht selten in einen monolithischen Block zu verwandeln, über den schon alles und schon viel zu viel gesagt worden ist [...].15

Obwohl die Essenz des Männlichen schon während der ersten Welle der Frauenbewegung, die sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts erstreckte, in Frage gestellt wurde, schienen die Fundamente der Männlichkeit trotzdem lange unantastbar zu sein, als etwas, worüber schon alles gesagt wurde. Untersucht und erbaut wurde erst das

„zweite Geschlecht“, jenes, das jahrhundertelang – und zum Teil immer noch – in einer minderwertigen Position ausharrte. Im frühen 21. Jahrhundert etablierte sich dann die Männlichkeitsforschung, die mittlerweile ein gleichwertiger Teil der Forschung in vielen Feldern ist, sie beinhaltet jedoch noch viele offene Fragen.

In der aktuellen Forschung aus unterschiedlichen Disziplinen zeichnet sich demzufolge ein neuer und offener, ein beweglich und vielfältig gewordener Begriff von Männlichkeit ab, der die Pluralität historischer, geographischer und sozialer Männlichkeiten aufnimmt, ohne die Gemeinsamkeit der mit dieser Kategorie erfassten Merkmale preiszugeben. Zu den künftigen Aufgaben der historischen, soziologischen und kulturwissenschaftlichen Männlichkeitsforschung dürfte es deshalb gehören, die jeweils divergenten Männlichkeiten in nationalen, europäischen und globalen Kontext in vergleichender Perspektive zu untersuchen um dabei zugleich die künftigen Verwendungsweisen eines nach wie vor gemeinsamen Begriffs von Männlichkeit zu erproben.16

Nach amerikanischem Vorbild werden auch in Deutschland zahlreiche Studien durchgeführt, welche die Geschichte der Männlichkeit erforschen und dabei alle Aspekte von Sexualität, Öffentlichkeit, Privatheit bis zu historischen Befunden und Inszenierungen berücksichtigen.

15 Walter Erhart (2006): Männlichkeitsforschung und das neue Unbehagen der Gender Studies. In: Sabine Lucia Müller/ Sabine Schülting (Hrsg.): Geschlechter-Revisionen. Königstein/Taunus: Helmer, S. 83.

16 Walter Erhart (2015): Deutschsprachige Männlichkeitsforschung. In: Stefan Horlacher/Bettina Jansen/Wieland Schwanebeck (Hrsg.): Männlichkeit. Stuttgart: Metzler, S. 21.