• Rezultati Niso Bili Najdeni

3.2 Der junge Herr

3.2.1 Der junge Herr und das Stubenmädchen

Die zweite männliche Figur im Drama ist der junge Herr. Im ersten Dialog tritt er mit dem Stubenmädchen auf. Für das Stubenmädchen ist das ein großer gesellschaftlicher Sprung, da es im vorigen Dialog mit einem gewöhnlichen Soldaten verkehrt, in diesem aber mit jemanden aus dem Bürgertum. Der junge Herr ist wohl situiert und wirkt während des anfänglichen Geschehens etwas gelangweilt, was nicht untypisch für das damalige Bürgertum war, das nicht ums alltägliche überleben kämpfen musste und Zeit hatte, ihren Hobbies nachzugehen und zu entspannen. Zu Beginn wird der junge Herr auch in einer für diese Zeit sehr stereotypischen Situation beschrieben. „Der junge Herr liegt auf dem Divan, raucht, und liest einen französischen Roman.“ (R, 33) Die andere Figur in diesem Teil, also das Stubenmädchen, schreibt überraschenderweise einen Brief an seinen Geliebten, den Soldaten.

Für den Leser ist es ein wenig verwirrend, dass der Soldat trotz seines Benehmens anscheinend sein Geliebter wurde. Leider erfährt man hier keine weiteren Details zu diesem Verhältnis.

Das anfängliche Dialog-Geschehen wirkt komisch, zeigt aber zugleich, wie gelangweilt der junge Herr zu sein scheint.

Das Stubenmädchen.

Bitt' schön, junger Herr?

Der junge Herr.

Ah ja, Marie, ah ja, ich hab' geläutet, ja ... was hab' ich nur ... ja richtig, die Rouletten lassen S' herunter, Marie ... Es ist kühler, wenn die Rouletten unten sind .... ja ....

(Das Stubenmädchen geht zum Fenster und läßt die Rouletten herunter.) Der junge Herr (liest weiter.)

Was machen S' denn, Marie? Ah ja. Jetzt sieht man aber gar nichts zum Lesen.

(R, 33)

Frage, die man sich hier stellen kann, ist, ob der junge Herr wirklich wegen den Rouletten geklingelt hat oder ob ihm nur langweilig war und er das Stubenmädchen sehen wollte Am Anfang bekommt der Leser das Gefühl, dass der junge Herr eigentlich gar nicht weiß, wieso er geklingelt hat, und es scheint, als denke er sich nur was aus. Diese Vermutung lässt sich auch durch den letzten Satz bestätigen, in dem er ganz überrascht fragt, was das Stubenmädchen mache, er sich aber gleich erinnert, dass er ihm kurz zuvor das aufgelegt hat.

Dass es sich wirklich nicht um Aufgaben handelt, welche der junge Herr erledigt haben will, sondern er nur gelangweilt zu sein scheint, kann man gut beobachten, als der junge Herr wieder klingelt: „Sie, Marie .... ja, was ich habe sagen wollen .... ja .... ist vielleicht ein Cognac zu Haus? [...] Ah nein .... es ist so heiß genug. Ich brauch keinen Cognac. Wissen S', Marie, bringen Sie mir ein Glas Wasser. Pst, Marie – aber laufen lassen, daß es recht kalt ist.

– “ (R, 33–34) Das Stubenmädchen ist also fast wie ein Spielzeug, wie eine Puppe für den jungen gelangweilten Herrn. Bis zu diesem Moment zeigt der junge Herr fast kindliche Charakterzüge auf. Man könnte ihm sogar Elemente eines männlichen Spiegelbildes zur Femme enfant, also eines Homme enfant zuschreiben, eines „Kindmannes“, der nur unschuldig spielt und sich die Zeit vertreibt. Im weiteren Geschehen ändert sich die Situation jedoch, wodurch diese Vermutung des Homme enfant auch verworfen wird. Die folgende Beschreibung zeigt nämlich ein anderes Bild des jungen Herrn, dessen Interesse am Stubenmädchen scheinbar geweckt wurde. Er dreht sich nämlich um und schaut dem Stubenmädchen nach, als dieses den Raum verlässt, und als es dieses Benehmen bemerkt, wendet er zuerst seinen Blick noch in die Luft, damit sein Verhalten nicht zu offensichtlich wird. Das Stubenmädchen bemerkt es aber und bevor es ihm das Wasser bringt, macht es sich noch zurecht. (vgl. R, 35) Hier kann man den Anfang eines romantisch angehauchten Geschehens finden. Wenn man in den vorigen zwei Dialogen – zwischen der Dirne und dem Soldaten oder dem Stubenmädchen und dem Soldaten – ein schnelles Geschehen hat, wo nur eine sexuelle Intention besteht und es zum schnellen Geschlechtsverkehr draußen im Dunklen kommt, zieht sich hier die Handlung etwas länger hin und der junge Herr braucht viel länger, um sich festzulegen. Das ständige Klingeln kann als eine Art Vorspiel gesehen werden und die Blicke als eine Art Verführung. Hier wäre es interessant, einen Gedankenfluss des jungen Herrn zu lesen. Er schaut dem Stubenmädchen nämlich wieder nach und verbirgt es auch nicht mehr so offensichtlich. Augenscheinlich drang das Stubenmädchen in seinen Kopf ein, weswegen er sich auch nicht mehr auf das Buch konzentrieren kann und klingelt wieder mit einer weiteren Ausrede. Er sagt auch, dass das Stubenmädchen näherkommen soll und öffnet seine Bluse, fängt an es zu Küssen und schmeichelt ihm. (vgl. R, 36) Er meint, es rieche

„sogar angenehm“, was einerseits ein Lob ist, andererseits aber die Hochnäsigkeit der wohlhabenden Bürger gegenüber den Bediensteten zeigt. Es wurde von den Reichen angenommen, dass die ärmeren Schichten nicht so sauber waren und schlecht rochen, was einerseits auch der Wahrheit entsprach, da es sich keine teureren Parfüme leisten konnten, andererseits aber eine ganze Gesellschaftschicht pauschalisiert. Weiterhin erzählt er dem Stubenmädchen, es sei nicht das erste Mal, dass er es nackt sieht, was das Stubenmädchen in Verlegenheit bringt. Wenn man die Situation genauer betrachtet, merkt man, dass das Stubenmädchen wieder naiv der Verführung unterlag, obwohl es in Wirklichkeit nur als Lustobjekt diente. Als es diese Rolle nicht sofort erfüllen wollte, wurde der Ton des jungen Herrn unsanfter. Er nutzte seine gesellschaftliche Macht und seine Position als Arbeitgeber des Stubenmädchens aus, um seine Langeweile zu unterbrechen und um seine sexuellen Lüste zu befriedigen.

Am Ende des Dialogs wünscht das Stubenmädchen sich noch Nähe und Zärtlichkeit, es klingelt aber an der Tür und für den jungen Herrn ist es eine gute Ausrede, das Stubenmädchen nachsehen zu schicken, obwohl noch vor kurzem gesagt wurde, dass wenn so was passiert, nicht aufgemacht wird. (vgl. R 36)

Das Stubenmädchen (nähert sich ihm).

Der junge Herr (entzieht sich ihr).

– Sie, Marie, – ich geh' jetzt ins Kaffeehaus.

Das Stubenmädchen (zärtlich).

Schon .... Herr Alfred.

Der junge Herr (streng).

Ich geh' jetzt ins Kaffeehaus. Wenn der Doktor Schüller kommen sollte – Das Stubenmädchen.

Der kommt heut' nimmer.

Der junge Herr (noch strenger).

Wenn der Doktor Schüller kommen sollte, ich, ich .... ich bin – im Kaffeehaus. – (Geht ins andere Zimmer.) (R, 37)

Beim Geschlechtsverkehr gab es keine Gefühle, sondern nur Lust. Sehr vielsagend ist auch das Motiv mit den runtergelassenen Rouletten. Alles passierte im Schatten und dadurch wirkt es als etwas Verbotenes, etwas, das der Öffentlichkeit unbedingt verborgen bleiben muss. Als sie fertig sind, macht er dann selber die Rouletten hoch, er lässt wieder das Licht ins Haus, die alte Ordnungsstruktur kehrt zurück und somit auch das Verhältnis zum untergeordneten Stubenmädchen, das nicht mehr ist als eine Bedienstete im Haus.