• Rezultati Niso Bili Najdeni

3.3 Der Gatte

3.3.2 Der Gatte und das süße Mädel

Der nächste Dialog verläuft zwischen dem Gatten und dem süßen Mädel. Der Gatte, der noch im vorigen Teil so scheinheilig war und seiner Frau Geschichten über „verlorene Geschöpfe“

erzählte, trifft sich mit einem jungen süßen Mädel und ist seiner Frau untreu. Er hält sich nicht an seine eigenen Worte und verkehrt mit fremden Frauen beziehungsweise Mädels. Es zeigt sich die Doppelmoral der konservativen Bürger, die hohe moralische Werte predigen und vorheucheln, selber aber alles andere als Vorzeigebürger sind. Deutlich wird auch, dass der Gatte eine Neigung zum Femme enfant Frauentyp hat. Das süße Mädel ist ein junges, etwas naives, schwaches Mädel, das sich von diesem Mann verführen lässt. Das Gespräch verläuft auch anders, als in den bisherigen Dialogen. Wohingegen in den vorigen Dialogen, die Dirne ausgenommen, die Anredeform überall vorerst das Sie ist, verlangt der Gatte am Anfang schon die ganze Zeit, das süße Mädel solle ihn duzen. Dem süßen Mädel fällt dies anfangs jedoch schwer, da es ihm ungewohnt ist. (vgl. R, 59) Der Gatte befragt das süße Mädel nach seiner sexuellen Vergangenheit, nachdem er ihm noch Wein einschenkt und es küsst:

Der Gatte.

Na, sei einmal ehrlich. Wie viele haben den Mund da schon geküßt?

Das süße Mädel.

Was fragst mich denn? Du möcht'st mir's ja doch nicht glauben, wenn ich dir's sag'!

Der Gatte.

Warum denn nicht?

Das süße Mädel.

Rat' einmal.

[...]

Der Gatte.

Also ich schätze .... zwanzig.

Das süße Mädel (sich von ihm losmachend).

Na – warum nicht gleich hundert?

Der Gatte.

Ja, ich hab' eben geraten.

Das süße Mädel.

Da hast du aber nicht gut geraten.

Der Gatte.

Also zehn.

Das süße Mädel (beleidigt).

Freilich. Eine, die sich auf der Gassen anreden läßt und gleich mitgeht ins chambre separée!

Der Gatte.

Sei doch nicht so kindisch. Ob man auf der Straßen herumläuft oder in einem Zimmer sitzt ....

Wir sind doch da in einem Gasthaus. Jeden Moment kann der Kellner hereinkommen – da ist doch wirklich gar nichts dran .... (R, 61)

Der Gatte sieht das süße Mädel fast als eine Prostituierte an, die mit verschiedenen Männern verkehrt. Er fragt es nach Geliebten und dieses gibt auch zu, dass es vor mehr als einem halben Jahr einen Geliebten hatte, der dem Gatten auch ähnlich war, weshalb es auch so schnell mit ihm gegangen sei. (vgl. R, 62) Im Gegensatz zu den vorigen Dialogen wirkt hier die Situation nicht als Verführung mit einigen Fragen zur Liebe, sondern eher als ein Verhör.

Der Gatte will alles über das sexuelle Leben des Mädels erfahren und scheint mit den Antworten auch nicht immer zufrieden zu sein. Am Ende stellt sich heraus, dass sie beide nicht die Wahrheit erzählen und einander nicht trauen, aber trotzdem die Lust in den Vordergrund stellen. Das Mädel sagt, es wolle auch langsam nach Hause, was der Gatte aber noch nicht möchte. (vgl. R, 63–64) Sie sprechen weiterhin über vergangene Geliebten des süßen Mädels. In Betracht darauf, was der Gatte seiner Frau im vorigen Dialog gesagt hat, kann man schlussfolgern, dass das süße Mädel ihn an dieses Verhältnis aus der Vergangenheit erinnert. Aus dem weiteren Gespräch erfährt man auch, dass der Gatte um einiges älter ist als das süße Mädel und ihm das auch peinlich ist und er nicht darüber sprechen will. (vgl. R, 65) Das süße Mädel ist vom Wein leichtköpfig und leicht betrunken geworden, woraufhin weitere Annäherung und Zärtlichkeiten folgen, was am Ende zum Geschlechtsverkehr führt. Obwohl der Gatte vor kurzem noch behauptet hatte, dass jeden Moment ein Kellner kommen könnte, scheint dies im Moment der Lust an Bedeutung zu verlieren: „Da .... kommt sein Lebtag ....

kein Kellner .... herein ....“ (R, 66)

Das ist auch bisher der einzige Dialog, wo es kein Motiv mit dem Verdunkeln des Raums gibt. Sie sind zwar in einem isolierten Raum, fern von den Augen der Gesellschaft, man weiß aber nicht genau, ob dieser Raum verdunkelt ist oder doch vom Licht erleuchtet. Es ist ironisch, dass man bei der Männerfigur, die am meisten scheinheilig war und über Moral und Werte predigte, nicht explizit eine Verdunkelung des Raums vorfindet. Das Mädel im Gegenteil sitzt mit verschlossenen Augen da. Hier könnte man aus dem Sprichwort „aus dem Auge, aus dem Sinne“ schöpfen und sich denken, dass das Mädel die Sünde ignoriert und sich nicht viel daraus macht, andererseits könnte es aber auch darauf hindeuten, dass es die Sünde genießt. Das Mädel meint zuerst sogar, dass was im Wein gewesen sei, was der Gatte

natürlich verneint und es fragt, ob es ihn für einen Giftmischer hielte. Als er über andere Geliebten von dem süßen Mädel erfahren will und dieses sich in seinen eigenen Lügen verstrickt, wird zweifelfrei deutlich, dass es zwischen ihnen keine Liebe gibt, sondern nur den Rausch des Verbotenen für den Gatten und das angenehme Leben im Saus und Braus für das süße Mädel. Als sie über weitere Treffen sprechen, fängt der Gatte an zu lügen, was das Mädel auch schnell erkennt und richtig errät, dass er wohl verheiratet sei. Schließlich verabredet er sich am Ende mit dem Mädel zu einer festen Affäre, jedoch nur unter der Bedingung, dass es nur mit ihm eine Affäre hat. (vgl. R, 70) Befremdend ist auch, dass er das süße Mädel jetzt in einen moralischen Rahmen schieben will und er von ihm verlangt, dass es sich nur mit ihm trifft. Dieser ganze Dialog ist sehr ironisch gefärbt, da der Gatte, der ein stark konservatives Gesellschaftsbild aufrechterhalten will und sich dabei sogar selbst belügt, mit einem viel jüngeren Mädel seiner Frau untreu ist. Er denkt, dass er mit der Affäre das Mädel auf den richtigen Pfad der Monogamie bringt und er sieht nicht ein, dass er selbst nichts anderes als ein großer Sünder ist. Das süße Mädel, die angebliche Femme enfant, ist für den Gatten eigentlich eine Femme fatale. Es bringt ihn mit seinem Reiz dazu, dass er gegen seine Werte und die Worte, welche er seiner Frau sagte, handelt und der Sünde verfällt. Er nutzt seine soziale und gesellschaftliche Macht sowie sein Geld, um diesem Mädel eine schöne Zeit zu bieten, was dieses wiederum auch ausnützt. Keiner ist hier also unschuldig, in keinem Sinne des Wortes. Sie nutzen einander nur aus: der eine für den Lustrausch, die andere für den Luxus.

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Der Gatte tritt in zwei sehr unterschiedlichen Dialogen auf, die aber auch einige Parallelen aufweisen. Wenn es sich beim ersten Dialog noch um eine von der Gesellschaft tolerierte und akzeptierte Verbindung handelt, ist die zweite Situation viel kontroverser. Im ersten Dialog zeigt sich der Gatte in seiner konservativen bürgerlichen Haltung und vertritt die Normen und Werte jener Zeit. Auch der Altersunterschied ist nichts Unübliches, da reiche Bürger nicht selten jüngere Töchter aus anderen Häusern heirateten, sei es, weil sie sich damit einen gesellschaftlichen Aufstieg erhofften oder weil sie die Töchter von nicht so wohlhabenden Familien regelrecht angeboten bekamen. Seine Position der Macht, sowohl gesellschaftlich als auch in der Ehe, sind Darstellungen der patriarchalen Gesellschaft jener Zeit. Eine männliche Figur kann also mehrere Aspekte, in diesem Fall den des gesellschaftlichen Einflusses und den der Macht, repräsentieren, welche auch miteinander verbunden und verflochten sind. Interessant ist auch die Kürze des Gespräches nach dem Geschlechtsverkehr

ist interessant. Nachdem der Gatte befriedigt ist, will er schlafen und nicht über die Vergangenheit nachdenken und schöne Erinnerungen wecken. Diese Kürze war bisher typischer für sexuelle Situationen, in denen Figuren aus niedrigeren Schichten, also der Soldat, Dirne und das Stubenmädchen, vorkamen. Der zweite Dialog bietet dagegen die Schattenseiten hinter der schönen Fassade. Der Gatte handelt in der Öffentlichkeit zwar nach den Normen und Werten jener Zeit um ein gutes Gesicht zu bewahren, sein Handeln im Versteckten ist aber alles andere als sittlich. Das stellt der Autor aber auch mit sehr viel Ironie dar. Der Gatte sieht sich selber trotzdem als eine gute Person und glaubt, er wird das süße Mädel auf einen richtigen Weg bringen. Das kommt auch im langen Gespräch nach dem Geschlechtsverkehr zum Vorschein, als er das süße Mädel nicht sofort wegschickt, sondern ihm noch Fragen stellt und sich mit ihm erneut verabreden will. Diese Blindheit und Unfähigkeit seine eigenen Taten als etwas anzusehen, was gegen seine eigenen Werte geht, ist sehr vielsagend. Der Gatte ist sich keiner tiefen Schuld bewusst und es gibt keine Elemente dieses Fallens und tieferen Sinkens, von denen er seiner Frau erzählte. In seiner gesellschaftlichen Überlegenheit gegenüber dem Mädel scheint er nicht fähig zu sein sich eine moralische Gleichsetzung zuzugestehen. Beide lügen sich gegenseitig an und geben vor etwas zu sein, was sie nicht sind, beide verstecken sich hinter einer Fassade von leeren Worten und Geschichten.